Marian IV

Eben war ich unterwegs. Das ist ja schon ziemlich peinlich, aber ich bin wirklich gerne draußen, nur irgendwie muss ich ja auch zum Wald hinkommen. Also durch die ganze Stadt, über den kleinen Fluss, der unser Städtchen umgibt und dann ab in die Pampa. Ob man es glaubt oder nicht, aber mit einem Bestimmungsbuch sieht man in der Natur mehr. Viel mehr. Ach man, jetzt habe ich den Faden verloren, denn eigentlich wollte ich nicht darüber reden, was ich draußen mache, sondern darüber, was ich so beobachtet habe. Nämlich auf dem Weg in den Wald. Vor mir gingen drei Mädchen, sie sahen alle gleich aus. Hatten schwarze Jacken an, weiße Turnschuhe und alle hatten lange glatte Haare. Erst als ich sie überholt habe, wurde mir bewusst, dass sie aus meiner Klasse sind. Ist noch nie vorher aufgefallen, aber offenbar sehen alle gleich aus. Da gibt es nur sehr wenige Unterschiede. Unser Lehrer hat letztens gesagt, dass man die Kinder und Jugendlichen in der Schule nur noch an dem unterscheiden kann, wie sie reden. Die einen eben schlauer, die anderen dümmer. Ein anderer Lehrer meinte sogar, dass nur die Akne im Gesicht Anhaltspunkte dafür geben kann, wen man gerade vor sich hat. Das fand ich ziemlich gemein. Der soll sich mal selbst im Spiegel anschauen, dann sieht er, dass er wie jeder Lehrer aussieht. Ununterscheidbar. Alle Leute sehen eigentlich gleich aus, jeder versucht in der Masse zu verschwinden. du muss nur durch die Stadt laufen, dann siehst du es. Nur wenige Leute haben überhaupt noch den Mut, sie selbst zu sein.

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Marian III

Ein Mitschüler meinte vor einigen Tagen, dass Eltern auch nicht mehr das sind, was sie noch nie waren. Erst habe ich gedacht, was für ein Schwachsinn. Aber je mehr der Satz in meinem Kopf herumspukt, desto mehr Wahrheit entwickelt er. Vielleicht sind es ja nur unsere Vorstellungen, die ein Bild in uns erzeugen. Gibt es eigentlich die eine Wahrheit? Vor allem über andere? Was ist das denn eigentlich, Eltern sein oder haben? Wir glauben doch schließlich alle, dass sie immer ähnlich sein müssen und dann lernst du die Eltern von anderen Kindern und Jugendlichen kennen und musst feststellen, dass die irgendwie anders sind. Vielleicht netter als die eigenen oder oberflächlicher oder belangloser, interessierter oder interessanter, strenger oder dümmer, auf jeden Fall dümmer, ja. Die meisten Eltern entsprechen diesem Bild, das wir von dieser Sorte Mensch haben, nämlich gar nicht. Es ist eben doch etwas völlig anderes, ob sie Arbeiter oder Hartzies sind, ob sie als Ingenieure arbeiten oder als Hausmänner, als Lehrer oder Professoren. Jedes Elternpaar funktioniert anders und jeder Einzelne eines Paares dann auch wieder. Seien wir mal ehrlich, die meisten Erziehungsberechtigten können einem ziemlich auf den Geist gehen. Die meisten von ihnen haben diesen seltsamen Anspruch, uns erziehen zu wollen, dabei merken sie gar nicht, dass letztlich sie von uns erzogen werden. Es ist ja so leicht die Alten zu manipulieren, denn die meisten haben gar nicht die Zeit und schon gar nicht die Energie, sich ernsthaft mit uns auseinander zu setzen, also beharren sie zunächst auf ihre Verbote und Regeln und wenn man die Grenzen nur weit genug überschreitet können sie irgendwann nicht hinter bestimmte Linien zurück. Rote Linien, dass ich nicht lache. Die meisten Eltern sind inkonsequent und wenn sie erst einmal getrennt leben, dann lassen sie sich noch einfacher ausspielen, am besten gegen einander. Das merken sie am wenigsten. Sie glauben ja immer, der andere sei Schuld an den eigenen Versäumnissen oder letztlich dem eigenen Versagen. Ich muss nur noch lernen, für mich den Umstand zu nutzen, dass Eltern immer das sind, was wir aus ihnen machen.

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Marian II

Einer muss es wissen, einer muss es schließlich immer wissen. Wie die Dinge zusammen hängen, wer mit wem und vor allem warum. Wo die Weichen gestellt werden und verflixt noch einmal: Wie komme ich aus dieser verschissenen Nummer heraus. Klar, man ey, jetzt könnte ich mit Sprüchen herumposen, die meine Mitschüler dauernd in die Welt spucken, so Sachen wie Alter und Digga und was auch immer, alles nicht meine Sache. Ich habe überhaupt keine Lust mich bei den anderen anzubiedern. Papa hat erzählt, dass es ihm damals in der Pubertät auch so ging, er fühlte sich nicht verstanden, nur von seiner Schwester, die hatte ganz gute Tipps, aber die war schließlich auch ein paar Jahre älter und hatte den ganzen Driss schon hinter sich. Riesen Vorbild war die und der ältere Bruder wohl auch, aber er war eben doch anders und mal ganz ehrlich, ich habe weder eine ältere Schwester, die sich auch nur ansatzweise für mich interessieren würde und schon gar keinen Bruder. Jedenfalls hatte mein Alter sich damals wohl auch zurück gezogen, nur noch auf seinem Zimmer gehangen und Musik gehört. Die hatten damals noch Cassetten und Vinylscheiben. Wobei – die finde ich auch ziemlich cool. Das ist sowieso die Idee! Ich baue mir mal die alte Anlage von Papa wieder auf und schnappe mir ein paar von seinen Scheiben. Wer weiß, vielleicht ist ja zumindest ein Teil der Musik erträglich, auch wenn sie über zwanzig Jahre alt ist. Boah, das muss man sich mal reintun, Musik, die älter ist, als man selbst. Aus einer Zeit, als man selbst noch Entengrütze oder was viel schlimmeres war, ich will gar nicht darüber nachdenken. Aber das wäre es doch, ich hänge einfach mal ein paar Tage im Bett ab, zieh mir die Musik rein und dann findet sich vielleicht ein Weg für mich. Mache auf krank und lasse die Schule einen lieben Mann sein, von mir aus auch eine Frau oder ein Queer. So, durch nachdenken und chillen. Dann werde ich es checken.

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Marian (ein Romananfang) I

Die Probleme sind anders, als sie auf den ersten Blick wirken. Soviel muss klar sein. Mir ist das schon immer mehr als deutlich. Natürlich bin ich für die meisten Schwierigkeiten, die ich habe, selbst verantwortlich. Aber wer will das schon zugeben. Zuwenig Zeit? Zocken und Filmchen glotzen sind die Ursache, nicht meine vielen Dinge, die zu tun vorgegeben wird. Scheiß Schulabschluss? Schlechte Lehrer waren es wohl nicht, sondern eine grundlegende Lernfaulheit und ständiges Fehlen. Fehlende Freunde? Fiese Typen in meiner Gegend sind daran auch nicht Schuld, sondern meine Unfähigkeit, mit anderen Kontakt zu halten. Selbst meine süße Freundin, in die ich immer noch schwer verliebt bin, habe ich mit meiner Art für immer verprellt. Letzte Woche hat sie Schluss gemacht.
Ja, hier im Tagebuch kann ich das zugeben, es wird sicher niemand lesen, denn ich schreibe es ja im Netz unter einem Pseudonym. Andererseits muss auch mal gesagt werden, woher das kommt. Erklärungen könnte vielleicht liefern, dass meine Eltern sich um alles kümmern, um ständig neue Klamotten, ein tolles Haus, alles muss einen gewissen Standard haben, sogar Spielzeug. Nur eines kommt wirklich zu kurz, Liebe. Sie haben ihre Familie aufgezogen wie ein Geschäft, dementsprechend auch das Verhältnis zu meinen Schwestern und mir. Die beiden stört das nicht besonders, die hatten ja sich. Eineiige Zwillinge. Die sind sich genug, ich stehe da doch immer außen vor. Also bin ich – na sagen wir mal – seltsam geworden. Meine Lehrer sagen immer: „Ein schwieriger Fall.“ Selbst mein Lieblingslehrer hat mich schlussendlich aufgegeben, dabei hatte er sich anfangs echt engagiert um mich gekümmert. Letztlich werde ich wohl ins Asoziale abgleiten. Nein, eine Kariere im positiven Sinne wird wohl nicht der Weg sein. Um Erfinder zu werden, fehlt einfach jeglicher kreativer Funke und dementsprechend auch die Genialität. Am ehesten stehen da zwei Wege offen: Kriminalität oder Sozialhilfe. Ach, es ist doch alles echt unfair. Und all diese Probleme soll ein vierzehnjährige Junge ganz allein bewältigen.

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Romananfang

Entgegen aller Wahrscheinlichkeit schreibt Herr Nipp von Zeit zu „nie“ Texte. Die meisten von diesen verlaufen sich sich gelinde gesagt im Sand. Auf seinem Rechner finden sich aber immerhin drei bis sieben angefangene Romane, einige nie beendete Kurzgeschichten und wirklich überzeugende Romananfänge. Immer wenn er eine Platte seiner alten Musikhelden auflegt, zum Beispiel „digital ist besser“ von Tocotronic mit überragend wundervoll kitschigen Texten des Dirk von Lotzow, bekommt er solche Anfälle von Schreibwut. Dann (Niemals sollte ein Folgesatz mit „dann“ beginnen, hat ihm einmal ein Lehrer gesagt, das sei stilistisch sowas von PEINLICH…den Rest des Salmons kann sich ein jeder plastisch ausmalen. Dann hat dieser Lehrer, ein Verfechter der Lehren Sol Steins, hat irgendwann übrigens Magengeschwüre bekommen. Wahrscheinlich haben ihn seine Schüler mit dauernden „danns“ so sehr geärgert, dass er ständig Magensäure in riesigen Mengen produziert hat.) …also: Dann nimmt er ein Papier aus der Schublade und beginnt völlig konzeptlos zu schreiben. Er ist kein Verfechter der Lehren Sol Steins, hat wahrscheinlich noch nicht einmal etwas davon gehört. Aber die Anfänge seiner Texte haben was. Ja. Nein, er wird niemals einen Roman beenden können, da immer noch etwas zu erzählen ist, es gibt eben kein Ende, das hat er inzwischen erkannt. Aber morgen wird ein solcher Anfang mal hier veröffentlicht. Ende.

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