Zeitmaschine

Er sitzt vor dem Rechner, wie jeden Morgen, die Dinge müssen geregelt werden, Dateien gepflegt. Das darf nicht wahr sein, hört er aus dem Hintergrund. Zwei Frauen stehen dort herum, haben eine Kiste zwischen sich stehen, aus der Weihnachtskrempel herausragt. Irgendetwas scheint zu fehlen. Sogenannte Deko, denkt Herr Nipp. Er ist bekanntlich kein Freund von solchem Nippes, toleriert diese Kitschkramzeit aber notgedrungen. Weihnachten war nie ganz so sehr seins, seit einigen Jahren aber hat er geradezu eine tiefgründige Abneigung gegen die Bigotterie dieses Festes. Wenn es nicht anders geht, dann kommt er noch mit seinen Freunden mit zum Glühweintrinken in der Stadt, Weihnachtsmärkte aber oder Deko zu Hause wären ihm ein Graus, das war mal anders. Jetzt stellen die Damen tütenweise Nikoläuse aus Pappmaché, nachgemachte Lebkuchenhäuschen, Holzsterne auf die Tische, ordnen alles in aller Ruhe und besprechen, wo was platziert werden könnte. „Hat noch jemand Batterien hierfür?“
Seine Blutdrucksenker wirken noch nicht richtig, aber ein Kaffee muss einfach sein. Wach werden und natürlich dieser Geschmack und Duft frisch gemahlener Bohnen. Im Hintergrund von irgendwoher dudelt „The weeping Song“ von Nick Cave. Damals, Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre muss es gewesen sein, hat er den Langspieler „The god son“ dazu rauf und runter gehört. Immer wieder. Dazu dann die Single mit akustischen Versionen von „The Merci Seat“ und anderen Caveklassikern. Durch diese Musik hatte er damals neue Welten entdeckt, neue Menschen kennengelernt und auch die neue Freundin damals mochte diese Klänge ganz unerwartet.
Plötzlich fühlt er sich in diese Zeit zurückversetzt, starrt auf den Bildschirm und vergisst Raum und Zeit um sich. Schon seltsam, dass Kleinigkeiten wie Tonfolgen uns daran erinnern können, dass es ein Leben vorher gab. Ein anderes Leben, einer anderen Person, die ihm noch nicht einmal mehr ähnlich sieht.

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Dieser Garten – ein gesprochener Text für das Projekt Gesprech

Dieser Garten

  1. Aus der Wohnung heraus

Aus dieser Wohnung auf die Terrasse treten, dem Chaos entfliehen, das sich in den letzten Wochen angehäuft hatte. Den Kleidungsstücken, achtlos über die Stühle und Sessel geworfen, vergessen in die Schränke zu verfrachten, ganz ordentlich, wie es sich gehört. Den Büchern, die überall herumliegen und den Zeitungen, die noch nicht gelesen sind, den Zeichnungen, die sich zwischen all dem ihren Platz behaupten müssen, die leicht zerknittert werden können, weil sie auf sehr dünnem Papier entstanden sind. Den Stiften und Aquarellfarben, die sich kreuz und quer über die Räume verteilen, der Zettelwirtschaft, die alles miteinander verbindet, die Rechnungen und Belege, die undefinierbaren Notizen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben können und wollen, auf den zweiten Blick auch nicht. Dem Papier überall, dass irgendwann dann wahrscheinlich als Anzündematerial im Kamin verschwinden wird oder in der Papiertonne, die schon viel zu lange völlig angefüllt in ihrer Nische steht und nur darauf wartet, endlich geleert zu werden. Also doch die thermische Entsorgung irgendwann.  Den Schallplatten auch, die täglich gebraucht werden, weil es ohne Musik nicht geht, weil das Drehen der schwarzen Scheiben beruhigt, weil die Töne etwas anstoßen, das etwas auslöst, einen Gedanken vielleicht, oder die Idee zu einem Rezept. Den Töpfen auf dem Herd und der geschmiedeten Pfanne natürlich, in der sich noch einige Krümel des mit Olivenöl, Rosmarin und Knoblauch gerösteten Brotes von gestern abends befinden, die immer wieder ihren Duft verbreiten können, sobald ein Lufthauch darüber streicht. Dem Aquarium mit den vielen Kleinstfischen, von der alten Guppydame in den letzten Wochen in die Welt hinausgeschleudert, den Wasserpflanzen, deren Gewucher nur zu stoppen ist, wenn sie abgeknipst und sie entfernt werden.

  •  Über die Terrasse

Die Terrasse mit ihren selbst zusammengebauten Möbeln aus dickem Eichenholz, eine ehemalige Kneipentheke, die nun als Bank genutzt wird, all die Töpfe dort und das mal wieder vergessene Leergut. Die leeren Töpfe und die bepflanzten, mit selbst gezogenen Esskastanienbäumchen, die nach und nach verschenkt werden. Den Feigenbäumen aus den Stecklingen, die im Winter abgeschnitten wurden. Den Walnüssen, jeden Tag ausgelegt für die Eichhörnchen, die täglich herumkommen, schauen, ob es was gibt und sich die besten Stücke heraussuchen. Hoffentlich werden sie damit die ganze Umgebung verwalnussen. Juglansifizierung höre ich den Baumschuler sagen, du musst auch mal die Fachbegriffe verwenden. Dem Außenaquarium, das auf der Abdeckung unseres Wasserspeichers steht, in welches irgendwelche Molche ihre Eier gelegt haben, in dem nun Larven leben, gut geschützt denkt man, wenn da nicht die drei Rückenschwimmer wären, die sicherlich danach trachten, eine von ihnen zu erwischen. Dem weißen Schrank mit den Gartenwerkzeugen, den Handschuhen im obersten Fach links, der Kiste mit Honiggläsern voller Pflanzensamen, die irgendwann gesammelt irgendwann ausgebracht zu werden trachten. Alles in Wartestellung, die Wohnung, die Terrasse.

3. Dieser Garten

Mit seinen Blumen
rot, weiß, rosa, gelb und blau
sogar grüne Blüten gibt es da
den Düften und Gerüchen
die von ihnen ausgehen
mal penetrant, mal süßlich
mal herb, mal abenteuerlich
mal moderig
und einige haben gar keinen Duft

Die Steine überall
zu Mauern gehäuft
lose dem Teich belagernd
ihre Wärme im Sonnenlicht
die auch nachts noch da ist
ihre irisierenden oder stumpfen Farben
unter ihnen tausende Tiere

Die Haufen und Komposter
an jeder Ecke
unter denen das Leben tobt
die Jagd auf kleine Insekten
Spitzmäuse finden hier alles
Springschwänze und Kellerasseln
Würmer und Schnecken
ein Festmahl über das Jahr
Düngerlieferanten
Humuslieferanten
Verweser
Kohlenstoffsenker

Der Teich
mal eben dahingeworfen
aus einer Tageslaune heraus
in dem das Leben brodelt
Molche, Froschkaulquappen
Wasserläufer und Rückenschwimmer
Schnecken und Süßwassergarnelen
Schwimmpflanzen, Seerosen
Froschlöffel und Schwertlilien
und wie sie alle heißen
andere wissen das besser

Die Bäume
Apfel und Quitte
Walnuss natürlich
die riesige
ein Ginko, geschenkt bekommen
der sich erst noch finden muss
die Kirsche
dieses Jahr mit Schrotschusskrankheit
die vollbehangenen Pflaumenbäume
unter denen sich immer im Sommer liegen lässt
dösen, schlafen, lesen
auf dem breiten Liegestuhl für zwei oder drei
aus Holzresten gezimmert
die von anderen Projekten übrig
ihr Schatten, der Kühlung bringt im Sommer
und gute Luft
in denen die Vögel ihre Spiele spielen
singen, schwatzen, krakeelen
leben und sterben überall

Die Insekten, die sich tummeln
manchmal zumindest noch
wenige sind es geworden
die Hummeln, Bienen, Wespen
die Fliegen, Wanzen und Mücken
manchmal eine große Libelle über der Teich
ganz selten ein Schmetterling
Fuchs, Admiral, Tagpfauenauge
im Frühling war ein Aurorafalter da

Die Wiese, die einmal ein Rasen war
die nicht mehr gemähte
eine Zumutung natürlich
so ein verwilderter Garten
in dem nicht jede Woche gemäht
in dem nicht jeder Busch akkurat geschnitten
in dem sich die Pflanzen behaupten müssen

Die Hochbeete
in denen Gemüse wachsen sollte
in denen Stauden wachsen
Mohn auch
und Kornblume, Kornrade
und plötzlichen tauchen Pflanzen auf
die neu sind
die man nicht kennt

Dieser Garten
eine Zumutung für alle
Ordentlichen
 die Baumarkthörigen
Die Igelschredderbesitzer
die Doppelstegzauneinzäuner


die Katze besucht uns regelmäßig

Dieser Garten
unser Paradies

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Darf ich darf

Darf ich heute keine Worte mehr aussprechen, die ich so noch vor kurzer Zeit sprechen durfte, ohne auf irgendeine Gegenreaktion warten zu müssen, so werde ich sie vielleicht denken und irgendwann entwickelt sich ein Groll gegen ein System, dass die Worte verbietet und vielleicht suche ich eine Umgebung, in der ich meine Sprache noch sprechen kann und darf und wo niemand sich auch nur im Geringsten darüber aufregen mag, dass diese Sprache benutzt wird oder werden könnte, weil sie dort als normal empfunden wird und jegliche Form der übertriebenenen sprachlichen Korrektheit nicht als Gewinn, sondern als makel geradezu gehört wird und dann ist mit der Zensur im Voraus letztlich genau das Gegenteil gemeint?

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der da (Unsinn/s/text)

Der da, der Herr Derda da. Der da da.
Das da, das daher da war. Das da da.
Die da, die der Dieter war. Die da da.

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bloß stellen (Unsinnstext)

Ich wollte die Figur hier abstellen, denkt Herr Nipp, und dann kommt da der Herr daher und meint, nix hinstellen, das ist doch anstellen, denk ich und sprech es wohl auch aus und er verstellt sich, schreit mich an und unterstellt mir das bloß stellen und wird lauter und meint, er werde mein dämliches Abstellanliegen bloßstellen und die Leute, die uns umstellen zeigen entstellte Gesichter.

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