ablegen

Stundenlang ist er um dieses kleine Kaff gelaufen. Ein wunderbarer Panoramahöhenweg. Zur Zeit sowieso, weil die einst vielen und vielleicht auch noch stolz anmutenden Fichten dem Käfer zum Opfer gefallen sind. Erst befallen, dann gefallen. Erst grün, dann braun und wenn es schlecht kam, Feuerholz. Auf einigen Flächen liegen die Baumkadaver noch herum und werden wohl dort verrotten. Was Herr Nipp dabei denkt, ist jetzt egal. Er hat Durst und will sich setzen. Da die Erfinder dieses Rundweges nicht an Bänke gedacht haben, tut es auch ein Baumstumpf. Er zieht die viel zu warme Jacke aus, breitet sie zum Draufsetzen. Zieht seine schwarze Thermoflasche aus der mitgebrachten Tasche, füllt sich eine Tasse mit heißem Tee und genießt den aufsteigenden Duft ferner Länder. So ruht er aus, mit Bedacht und Ruhe. Er begrüßt wandernde Menschen, die ihm unbekannt sind und bekommt meist eine freundliche Replik. Nur ein Pärchen grummelt ihn an. Bleibt aber in der Nähe sitzen. Was soll’s. Er genießt den besten Ausblick, den er auf der ganzen Tour hatte. Irgendwann geht er weiter bis zum Parkplatz, das Werk ist vollbracht. Als er angekommen feststellt, dass er seine Jacke mit Schlüsseln Portmonee und Handy liegenlassen hat, wird er eilig, läuft zurück. Schon nach einem Drittel der Strecke kommt ihm das grummelige Paar entgegen, winkt. „Die Jacke hier haben sie auf unserem Lieblingssitzplatz liegen lassen.“ Ja, jetzt versteht er, dankbar.

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Samstagnachmittag

Blumen blühen auf der Wiese,
der letzten in der Nachbarschaft.
Insekten fliegen zu den Blüten,
trinken ihren Nektarsaft.

Ich liege dort auf meinem Rücken,
da drüben röhrt der Rasenmäher,
seh´ Tieren hier beim Krabbeln zu,
Der Motor mir immer näher.

„Hallo, soll das auch noch weg?
Soll ich alles schneiden?“
Ich bleibe ruhig, bleibe liegen.

Die Wolken oben sehen aus wie Schafe oder Ziegen,
Und ja, ich will den Blickkontakt vermeiden.
“Weißt du was, du hast die ganze poetische Stimmung versaut, hau einfach ab und lass mich in Ruhe. Und vor allem, mach diesen verdammten Rasenmäher aus, er knattert und stinkt und geht mir verdammt auf die Nerven. Lass die Blumen dran, die Bienen brauchen Nahrung. Und sag mir bitte, hat das alles irgendeinen Zweck?“


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Bauch

Die junge Dame vor ihm folgt dem aktuellen Modediktat, sie zeigt Bauch. Zwischen ihrer relativ hochgezogenen Jeanshose und dem Bustier zeigt sich ein etwa zehn Zentimeter breiter Streifen Haut. Plötzlich streckt sie sich und reckt sich sich. Der Streifen weitet sich. Herr Nipp ist total erschrocken, da zeigt sich eine achtgeteilte Muskellandschaft, wie er sie selbst nie hatte und sicher nie haben wird. Völlig definiert und tatsächlich schön. In seinem Gesicht spiegelt sich eine offensichtliche Verblüffung, er kann den Blick kaum abwenden. Plötzlich kontraktieren die Muskelhügel und er hört sie herzhaft lachen, echt sympatisch. Über ihn, er blickt ihr in die Augen und wird rot. Das folgende Gespräch handelt dann tatsächlich von Muskelaufbau und vom Sinn des Ganzen. Später wird er erst erfahren, dass die junge Frau eine ziemlich bekannte Leistungssportlerin ist.

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Wälder ringsum

Einige Meter muss er gehen, da fängt der Wald an, einige hundert Meter. Meist nimmt er den direkten Weg über den Friedhof, sein Leihhund und sein Freund wissen das. Da muss nicht diskutiert werden. Ganz nach dem Motto, der Kutscher kennt den Weg, setzt der kleine Tross in Bewegung. Andererseits musste früher der Bierkutscher nach vollbrachter Fahrt nicht einmal mehr selbst lenken können, die Pferde kannten den Heimweg genauso gut. in den Wald zu kommen, ist dementsprechend für ihn wie seine Begleiter eine Form des Nachhausekommens. Wenn er nur mit dem Hund unterwegs ist, wird naturgegeben wenig besprochen, dann führt Herr Nipp manchmal wohl Selbstgespräche, aber das merkt er gar nicht, dann schaut die kluge Hündin schon mehrfach mitleidig, ist aber ansonsten nicht weiter verwundert. Es soll allerdings auch solche Menschen, seien es nun Frauchen oder Herrchen, welche die gesamte Zeit auf ihren tierischen Begleiter einreden. Ja, die meisten Hündinnen und Rüden nehmen das hin, wissen sie doch, dass ihre menschlichen Versorger sonst niemanden zum Sprechen haben. Wie sagt Peter Fox das so schön: “Jeder hat nen Hund, aber niemand zum Reden.“ Wenn Herr Nipp allerdings mit seinem Freund die von ihnen so benannte Heimatkunderunde macht, dann wird viel geredet. Über Aktuelles, das ist klar, über Verklärtes und Vergangenes, über Ansichten und An-Sich-Arbeiten, die anderen üblichen Themen, Religion, Politik, Musik und Film dürfen auch nicht fehlen, soweit klar. Immer häufiger rückt seit Beginn des Waldsterbens auch dieser in den Fokus, das Bewusstsein, dass es sich um eine Zeitenwende handelt, einen tiefen Einschnitt. “Die Wälder, die wir noch kennenlernen durften, werden unsere Nachfolger nicht mehr haben.“ ist da so eine Schlussfolgerung. Die schönste Erkenntnis, die sein Freund allerdings letztlich hatte war: “Egal wo du in dieser Kleinstadt stehst und gehst, du kannst fast überall den Wald sehen.“ Ja, und das Wissen allein schon kann glücklich machen.

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Schmetterlinge im Handschuhfach

Diese Liebesgeschichte hatte es ihm wirklich angetan. Eine solche eben, die nicht irgendwo gelesen worden, sondern einfach so im Kopf beim Zugfahren entstanden war. Der Plot zu einem tiefen Gefühl, außergewöhnlich, den er unbedingt aufschreiben, weiterentwickeln wollte, ja musste. Und von Anfang war ihm klar gewesen, wie sie zu heißen hatte. Schmetterlinge im Bauch. So weit, so gut oder eben auch schlecht. Der Text war fertig, alles perfekt. Aber jetzt mal wirklich, Schmetterlinge im Bauch? Was sollte diese völlig abgelutschte Titelei? Herr Nipp ging in sich, und hatte eine Eingebung. Wer hat schon Eingebungen. Schmetterlinge im Kopf. Nein, auch nicht so gut, da gab es doch schon diesen Film mit Honig. Hm. Als er abends vom Bahnhof mit dem Auto heim fuhr, suchte er noch etwas im Handschuhfach und eine Motte kam ihm entgegen. Ja, das ist es, dachte er.

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