Tänzer

Da stehen dreißig Menschen um eine Person herum und schauen ihm völlig gebannt zu, was er da macht. Sie können es nicht fassen. Ein Tänzer bewegt seinen Körper, ohne hörbare Musik und doch scheint es, als habe er sie sich aus der Luft gegriffen, die Füße, die Hände, jeder Körperteil zeigt exakte Bewegungen, Rhythmen werden abgezirkelt durch den Körper gepulst. Jeder Knochen hat ein einzelnes Leben, jede Sehne eine eigene Funktion. Der Mann ist völlig in seine Welt verstrickt, versunken, als gäbe es kein Außen. Irgendwann stoppt er, der Körper wird zu einem normalen Körper unter anderen, die Menschen applaudieren. Und da bemerkt er sie. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich sie gestört habe, ich musste mich eben aufwärmen.“

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blumennämlich

Jeder Leser dieser Seite weiß es, jede Leserin hat mir gesagt, dass es langsam etwas viel wird mit all den Geschichten aus dem Garten oder der Natur. All diesen Beschreibungen von Pflanzen‘ Tieren und Steinen. Und dann diese Pilzgeschichtchen im Herbst. Es geht dem Erzähler ehrlich gesagt genauso, aber der ist einfach zu einfach strukturiert, um mal eben so eine neue Figur zu erfinden. Sie müsste ja mit all ihren Besonderheiten, den Tücken und Macken, dem sozialen Umfeld und der Vorgeschichte mühsam konstruiert werden. Das könnte dann vielleicht ein Motorradfahrer sein, dessen Erlebnisse auf dem Bock seines Zweirads weitläufig thematisiert wurden. Vielleicht handelte es sich auch um den Lastwagenfahrer, der gerade jetzt mal wieder ein Heidenspaß (Vorsicht Falle: laut einiger Neusprachler steht das Wort Heide auf der Liste der verbotenen Wörter, übrigens wie das durch den Diminutiv -ling abwertende Wort Häuptling. Nein, ich verbeiße mir hier jede Bissigkeit.) daran hat, die Autobahn durch ein quälend langes Überholmanöver über Zahn Kilometer Lange zu blockieren. Er könnte sich vielleicht auch mit jener Frau befassen, die sich dazu entschieden hat, ihren Mann als Hausmann daheim zu lassen, um selbst Karriere zunächst in der Wirtschaft, dann in der Politik zu machen. Ein wirkliches Themenfeld, das zu eruieren wäre. Stellen wir uns einfach vor, was sie alles zu erzählen hätte von ihren Geschäftsreisen und den Anmachversuchen der erbärmlichen Kollegen und den parteipolitischen Tiefschlägen bei internen Sitzungen. Vielleicht könnte Herr Nipp auch durch einen durchschnittlichen Lehrer ersetzt werden, der jeden Tag brav über seinen Heften sitzt, um zu korrigieren und zu benoten. Der sich ùber Eltern ärgert und darüber, dass er eben keine Karriere macht, weil er sich der falschen Seilschaft angeschlossen hatte. Alle die Möglichkeiten von anderen Figuren aus der Literaturgeschichte und dem wahren Leben. Zahnärztin, Bibliothekarin, Wirtin, Künstlerin, Pilot, Schriftsteller, Ingenieur, Maurer und Architektin, Musiker und Musikerin, Referent, Architektin, Grundschullehrerin, Designer, Trockenbauer, Sekretärin, Chirurgin, Physiotherapeut, Apothekerin und jede Menge an Studenten aller Fachrichtungen. Mannigfaltig wären die Möglichkeiten. Aber er bleibt bei seinem Herrn Nipp, alle anderen wären ihm zu real. Und in gerade diesem Moment denkt unser Alltagsheld über Blumennamen wie „Jelängerjelieber“, „Vergissmeinnicht“und „Gedenkemein“, wie „Löwenzahn“, „Knoblauchsrauke“ und „Nelkenwurz“nach und muss erfreut feststellen, dass diese zwischen Poesie und klarer Sachbeschreibung irrlichtern. Genau wie er selbst.

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Vor dem Raum

Sicherlich hätte dieser Text auch einfach „warten“ oder „warten auf“ heißen können, aber nein, bei der ersten Überschrift hätte die geneigte Leserin mir via Sprachnachricht zugerufen, dass es mindestens vier Geschichten von Herrn Nipp gibt, die ebenso heißen, bei der zweiten wären sämtliche Theaterkritiker dieser Welt auf die Barrikaden gegangen und hätten mit wutschäumenden Lefzen Brandsätze des Spottes auf mich niedergeschmettert, das gehe ja nun überhaupt nicht. Wir wissen ja, dasserste zur Statistik, letzte zur Theatralik neigen. Vor Literaturkritikerin muss ich persönlich weniger Angst haben, die beschäftigen sich gemeinhin nur mit solchen Schriften, die ihnen was einbringen. Herr Nipp gehört leider oder glücklicherweise nicht dazu. Nein, ich will sie natürlich nicht der Kungelei, der Schiebung oder gar der geistigen Vetternwirtschaft wie der Bestechlichkeit bezichtigen. Wir wissen schließlich alle, das darf und daher kann es das auch nicht geben. Niemand hat die Absicht solche Mauern zu bauen. So also zwei Worte einer Überschrift eines von mir verehrten Schriftstellers, der letztlich für uns alle unerreichbar bleiben wird. Auch wenn es ungezählte Adepten gibt, die aber letztlich medioker scheitern. Einer der schönsten Sprüche eines Freundes seit Jahrzehnten: „Da gehst du auf eine Ausstellung nach der anderen und musst meistens feststellen, dass die sogenannten Künstler am Mittelmaß gescheitert sind.“

Was also tun, wenn wir warten? Wenn wir darauf warten müssen, dass uns jemand die Türe öffnete. Wenn wir nicht wissen, wann und ob derjenige, der für eben diese Tür zuständig sei auch tatsächlich kommen werde, um uns aus dieser fast schon verdächtigen Situation zu entlassen und damit zu unserer persönlichen Freiheit beizutragen. Herr Nipp hat schon von vielen Lösungsansätzen gehört, immer wieder selbst auch neue praktiziert, aber seine Begleitung geht neue Wege. Mit einem Stück weißen Steins, den sie gefunden und eingesteckt hatte, niemand weiß schließlich, wozu er nützlich sein würde. Vielleicht zum Zeichnen, vielleicht auch, um ihn auf das Grab eines viel zu früh verstorbenen Freundes zu legen, irgendwann, aber wie es heißt, Steine und Kinder kann jemand nie genug haben, ja, sie hätte sicherlich auch Kreide nehmen können, wenn diese denn zur Verfügung gestanden hätte, zeichnet sie mit lediglich einer Linie eine durchaus komplexe Figur auf den Boden vor der Tür, lässt sich Zeit dabei, als habe sie es nicht nötig irgendwann einmal fertig zu werden. Herr Nipp beobachtet jede Bewegung, jede Kurve und gerade Strecke aufmerksam, gerät dabei wahrlich in einen zeitlosen Gedankenzustand. Gerade als sie mit ihrer Linie endet, kommt die Frau mit dem Schlüssel, grüßt freundlich und schließt auf.

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Demaskierung

Wenn er abends, das ist immer der Freitagabend, in seine Lieblingskneipe geht, dann weiß er, dass dort alle Menschen ohne Maske herumlaufen. Nach zwei Jahren der völligen Einschränkung, nach Impfung, Boosterung und Ansteckungen, die überlebt wurden, wollen die Leute einfach wieder ein Leben führen, das der sogenannten Normalität zumindest ansatzweise nahe kommt. Ja, auch er selbst hat das alles hinter sich und inzwischen erkannt, dass es nur ein Leben gibt. Jeder weiß um die Gefahr, klar, aber alle, die kommen, gehen mit ihrer Angst um. Und tatsächlich kommt immer diese gewisse Stimmung auf, so als wenn man ins eigene Wohnzimmer käme, wo man tun und lassen kann, was man will, wo jeder einzelne von den Wirten in Ruhe gelassen wird. Wer will, holt sich ein Bier oder seine Schorle an der Theke ab, wer nicht will, bleibt eben ohne Getränk. Ja, die Musik ist meistens gut, weniger poppig, eher rockig, aber man weiß nie so ganz genau, was gespielt wird. Das einzig Sichere ist, dass irgendwann eine Band spielt oder ein Autor liest oder eine Quizshow beginnt oder oder oder. Die Möglichkeiten sind da vielfältig. Der Golem heißt der Laden und belebt seine provinzielle Kleinstadt auf jeden Fall. Neuerdings haben sich die Macher dieses Lokals größenwahnsinnigerweise auch noch vorgenommen Galeristen zu werden. Offenbar haben die wohl ein großes Netzwerk an Künstlern in der Hinterhand. Man muss sehen, ob sich das bewahrheiten wird. Aber bisher haben die Verantwortlichen immer gezeigt, dass sie ihre Pläne auch wirklich realisieren. An diesem Abend jedenfalls soll eine Band spielen, die angeblich sogar schon in der Kunstakademie Düsseldorf gespielt hat und demnächst dann in Moers auf dem Jazzfestival spielen soll. ASKET! Oh Frau, oh Mann! Und das in dieser Sauerlandprovinz. Herr Nipp auf jeden Fall freut sich. Eine seiner besten Freundinnen würde sagen “Wie Bolle.“ Er betritt den Laden durch den vorderen Eingang, schaut sich die fantastischen Arbeiten von Stephanie Neuhaus dort an und überlegt tatsächlich, eine pinkfarbene Banane zu erstehen. Vielleicht auch eine der Zeichnungen, wer weiß. Er zahlt die fünf Euro Eintritt („Mehr nicht?“) und geht die graue Treppe vom Whitecube der K30 (Kunsthalle 30) ins schummerige Licht der Gasträume, die alle offenen Lehmputz zeigen. Er grüßt ihn etwas seltsam anschauende Bekannte, geht weiter bis zur nächsten Treppe, hinunter zur Theke, bestellt ein Bier und erst als er versucht, dieses zu trinken, merkt Herr Nipp, dass er vergessen hat, seine Maske abzunehmen.

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Pickel

Als er dem pubertierenden Jungen wahrscheinlich etwas mitleidig in sein arg verpickeltes Gesicht blickt, fühlt er sich plötzlich an die eigene Frühjugend erinnert. Da sah er teilweise einem Streuselkuchen ähnlicher als einem menschlichen Wesen. Sie nannten ihn, æh, das hat er vergessen. Irgendwann ging auch das vorbei und aus den hässlichen Gebäckstück wurde ein mittelhässlicher Erwachsener ohne Pickel.

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