Vor dem Raum

Sicherlich hätte dieser Text auch einfach „warten“ oder „warten auf“ heißen können, aber nein, bei der ersten Überschrift hätte die geneigte Leserin mir via Sprachnachricht zugerufen, dass es mindestens vier Geschichten von Herrn Nipp gibt, die ebenso heißen, bei der zweiten wären sämtliche Theaterkritiker dieser Welt auf die Barrikaden gegangen und hätten mit wutschäumenden Lefzen Brandsätze des Spottes auf mich niedergeschmettert, das gehe ja nun überhaupt nicht. Wir wissen ja, dasserste zur Statistik, letzte zur Theatralik neigen. Vor Literaturkritikerin muss ich persönlich weniger Angst haben, die beschäftigen sich gemeinhin nur mit solchen Schriften, die ihnen was einbringen. Herr Nipp gehört leider oder glücklicherweise nicht dazu. Nein, ich will sie natürlich nicht der Kungelei, der Schiebung oder gar der geistigen Vetternwirtschaft wie der Bestechlichkeit bezichtigen. Wir wissen schließlich alle, das darf und daher kann es das auch nicht geben. Niemand hat die Absicht solche Mauern zu bauen. So also zwei Worte einer Überschrift eines von mir verehrten Schriftstellers, der letztlich für uns alle unerreichbar bleiben wird. Auch wenn es ungezählte Adepten gibt, die aber letztlich medioker scheitern. Einer der schönsten Sprüche eines Freundes seit Jahrzehnten: „Da gehst du auf eine Ausstellung nach der anderen und musst meistens feststellen, dass die sogenannten Künstler am Mittelmaß gescheitert sind.“

Was also tun, wenn wir warten? Wenn wir darauf warten müssen, dass uns jemand die Türe öffnete. Wenn wir nicht wissen, wann und ob derjenige, der für eben diese Tür zuständig sei auch tatsächlich kommen werde, um uns aus dieser fast schon verdächtigen Situation zu entlassen und damit zu unserer persönlichen Freiheit beizutragen. Herr Nipp hat schon von vielen Lösungsansätzen gehört, immer wieder selbst auch neue praktiziert, aber seine Begleitung geht neue Wege. Mit einem Stück weißen Steins, den sie gefunden und eingesteckt hatte, niemand weiß schließlich, wozu er nützlich sein würde. Vielleicht zum Zeichnen, vielleicht auch, um ihn auf das Grab eines viel zu früh verstorbenen Freundes zu legen, irgendwann, aber wie es heißt, Steine und Kinder kann jemand nie genug haben, ja, sie hätte sicherlich auch Kreide nehmen können, wenn diese denn zur Verfügung gestanden hätte, zeichnet sie mit lediglich einer Linie eine durchaus komplexe Figur auf den Boden vor der Tür, lässt sich Zeit dabei, als habe sie es nicht nötig irgendwann einmal fertig zu werden. Herr Nipp beobachtet jede Bewegung, jede Kurve und gerade Strecke aufmerksam, gerät dabei wahrlich in einen zeitlosen Gedankenzustand. Gerade als sie mit ihrer Linie endet, kommt die Frau mit dem Schlüssel, grüßt freundlich und schließt auf.

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