Demaskierung

Wenn er abends, das ist immer der Freitagabend, in seine Lieblingskneipe geht, dann weiß er, dass dort alle Menschen ohne Maske herumlaufen. Nach zwei Jahren der völligen Einschränkung, nach Impfung, Boosterung und Ansteckungen, die überlebt wurden, wollen die Leute einfach wieder ein Leben führen, das der sogenannten Normalität zumindest ansatzweise nahe kommt. Ja, auch er selbst hat das alles hinter sich und inzwischen erkannt, dass es nur ein Leben gibt. Jeder weiß um die Gefahr, klar, aber alle, die kommen, gehen mit ihrer Angst um. Und tatsächlich kommt immer diese gewisse Stimmung auf, so als wenn man ins eigene Wohnzimmer käme, wo man tun und lassen kann, was man will, wo jeder einzelne von den Wirten in Ruhe gelassen wird. Wer will, holt sich ein Bier oder seine Schorle an der Theke ab, wer nicht will, bleibt eben ohne Getränk. Ja, die Musik ist meistens gut, weniger poppig, eher rockig, aber man weiß nie so ganz genau, was gespielt wird. Das einzig Sichere ist, dass irgendwann eine Band spielt oder ein Autor liest oder eine Quizshow beginnt oder oder oder. Die Möglichkeiten sind da vielfältig. Der Golem heißt der Laden und belebt seine provinzielle Kleinstadt auf jeden Fall. Neuerdings haben sich die Macher dieses Lokals größenwahnsinnigerweise auch noch vorgenommen Galeristen zu werden. Offenbar haben die wohl ein großes Netzwerk an Künstlern in der Hinterhand. Man muss sehen, ob sich das bewahrheiten wird. Aber bisher haben die Verantwortlichen immer gezeigt, dass sie ihre Pläne auch wirklich realisieren. An diesem Abend jedenfalls soll eine Band spielen, die angeblich sogar schon in der Kunstakademie Düsseldorf gespielt hat und demnächst dann in Moers auf dem Jazzfestival spielen soll. ASKET! Oh Frau, oh Mann! Und das in dieser Sauerlandprovinz. Herr Nipp auf jeden Fall freut sich. Eine seiner besten Freundinnen würde sagen “Wie Bolle.“ Er betritt den Laden durch den vorderen Eingang, schaut sich die fantastischen Arbeiten von Stephanie Neuhaus dort an und überlegt tatsächlich, eine pinkfarbene Banane zu erstehen. Vielleicht auch eine der Zeichnungen, wer weiß. Er zahlt die fünf Euro Eintritt („Mehr nicht?“) und geht die graue Treppe vom Whitecube der K30 (Kunsthalle 30) ins schummerige Licht der Gasträume, die alle offenen Lehmputz zeigen. Er grüßt ihn etwas seltsam anschauende Bekannte, geht weiter bis zur nächsten Treppe, hinunter zur Theke, bestellt ein Bier und erst als er versucht, dieses zu trinken, merkt Herr Nipp, dass er vergessen hat, seine Maske abzunehmen.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.