Dunkelheit

Der Mensch, denkt Herr Nipp wieder einmal, hat eine ganz ursprüngliche Angst vor allem Unbekannten. Also muss er eigentlich auch solche vor der Dunkelheit haben. Er kann nicht wissen, welche Gefahr hinter der nächsten Ecke lauert. Was könnte den Vorbeigehenden aus dem Busch anspringen oder vielleicht tut sich dort oder dahinten auch ein Loch auf, in welches man stürzen könnte und sich sämtliche Knochen bricht. Nein, natürlich nicht alle, aber es würde ja schon ein Kreuzbandriss reichen, um weitgehend fluchtunfähig zu werden. Von den üblen Schmerzen gar nicht zu reden. Die Gefahren sind übermächtig und schießen ihm gleichzeitig wie Hochgeschwindigkeitsgeschosse von einer Hirnzelle zur nächsten, Synapsengrenzen oder gar Verzögerungen dort gibt es nicht. Und genau in dem Moment, als er sich das Schlimmste von allem ausmalt, geschieht es auch. Er hat die Tretmine übersehen und ist direkt in den dicken Hundehaufen gelatscht. Scheiße. Auf dem Rückweg wird er in jeder Pfütze, die ihm in die Quere kommt, versuchen, seinen Schuh zu säubern, nur um zu Hause zu erkennen, dass alles fruchtlos war und er lässt den Schuh vor der Haustür stehen in der Dunkelheit.

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Lob

Manchmal ist ein kleines Lob wertiger
dieses Wissen der Anerkennung
ein tiefer Blick
wortlos

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Was wir haben

„Was wir haben, können wir verlieren. Dieser Gedanke ist alt. Wenn wir es so halten, dass das, was wir haben, immerhin jetzt unser ist, so ist es erträglicher,“ hört Herr Nipp einen Bekannten sagen. Er fragt nicht nach, weiß er doch um die barocken Leitworte. Er ist der Meinung, dass der Besitz eben kein Eigentum ist, sondern weitergegeben werden muss. Das scheinbare Eigentum ist so gesehen eine Leihgabe. Und dann sagt er doch etwas: „Wenn das einfach genutzt wird, ist es allen von Nutzen.“

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Abschied nehmen

Klar, das Jahr ist mal wieder zu einem Ende gekommen. Wieder einmal ein denkwürdiges Jahr natürlich, zumindest für heute. Wir haben eigentlich immer denkwürdige Jahre. Nicht wegen der schlimmen und guten Ereignisse, nicht wegen der Kriege, der Korruption, der kleinen Siege und der tragischen Verluste, nicht wegen der vielen, sagen wir mal Menschen, obwohl es da eher einer anderen Kategorie bedürfte, die anderen Leid, echtes Leid zufügen, nicht wegen der Krankheiten, der Impfstoffe, der Meinungsunterschiede und des Ablebens berühmter Berühmtheiten, die wahrscheinlich keiner richtig kannte, nicht wegen der Energiekrise, vielleicht noch wegen der Krise der Klimaumwandlung und des Artensterbens, die in keiner Weise zu beschönigen sind, nicht wegen der rechten, linken oder all der anderen Aktivisten, nicht wegen des Terrors, von allen Glaubensrichtungen gegen alle anderen Glaubensrichtungen, nicht wegen all der politischen Gipfel, die mal hier, mal dort auf der Welt stattfinden, nicht wegen der Regierungsbildungen, Krönungen oder Abgänge, natürlich auch nicht wegen aller anderen ja so wichtigen Sachen, die uns von den verschiedensten Medien vorgeführt werden.
Das Jahr ist denkwürdig, weil du, liebe Leserin, lieber Leser, dieses Jahr gemeistert hast, weil du gelernt hast, damit umzugehen. Dieses Jahr ist denkwürdig, weil du angefangen hast, darüber nachzudenken und zu handeln, weil du vielleicht angefangen hast, dein Handeln umzustellen und zu hinterfragen. So kannst du von diesem Jahr Abschied nehmen, auch in der Gewissheit, das nächste wird wieder eine Herausforderung sein und du wirst die oder der sein, der es rocken muss. Ich wünsche dir Mut und Kraft, Gesundheit und ein gutes Stück Humor dazu.

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Faustisch

Eine ganze Gruppe junger Menschen sitzt auf den Stufen eines Kaufhauses der Kleinstadt, in welcher er wohnt. Ganz ernsthaft unterhalten sich die drei Jugendlichen offenbar über jemanden. “Nein, das kann doch nicht sein.“ “Doch die nicht!“ “Man kann es sich gerade gar nicht vorstellen, dass gerade unserer kleinen Heiligen sowas passiert.“ Immer wieder schreiben sie zwischendurch irgendetwas in ihr mitgeführtes I-pad. Zwischendurch kichern sie. Empörung und Spaß an der Sache scheinen sich ständig abzuwechseln. Völlig in ihr Ding vertieft zeiht die Welt an ihnen vorbei. Herr Nipp hat sich inzwischen einen Kaffee bei der gegenüberliegenden Bäckerei bestellt und hat sich einen unauffälligen Ort gesucht, von dem aus er alles überblicken kann. Hier eine Kleinfamilie mit quengelndem Kind, dort die Jugendlichen, einige Rentner hat er auch schon ausgemacht, die seit inzwischen gut zwanzig Minuten da sitzen, in aller Ruhe ihren Kuchen Stück für Stück genießen und sich aktiv anschweigen. Bei den Jugendlichen wird es manchmal lauter, dann hört er auch Gelächter, nicht fies, sondern echt belustigt und manchmal irgendwie wissend. Aufgeschreckt wird er, als er von einer weiteren Gruppe Jugendlicher angesprochen wird. “Wir sind Schüler des Deutsch-Leistungskurses. Haben Sie eventuell Zeit, einige Fragen für ein Unterrichtsprojekt zu beantworten?“ “Natürlich werde ich euch unterstützen, wenn es mir möglich ist. Ich habe nicht so viel Ahnung von Literatur.“ “Nein, nein, das sind nur ganz allgemeine Fragen, für die man nichts über Literatur wissen muss. Wir machen eben ein Projekt. Unser Lehrer ist der Meinung, wir sollten Unterricht auch mal außerhalb der Schule machen, damit wir nicht nur in einer Blase leben, sondern auch die Realität erleben.“ “Na dann, man tau.“ “Bitte?“ “Dan man zu, fangen wir an.“ “Also, wenn sie nicht antworten wollen, weil es eventuelle peinlich ist, dann ist das völlig in Ordnung.“ Er wundert sich, dass Jugendliche dieser Tage tatsächlich in der Lage sind, ganze Sätze ohne Digga und Alta und Anglizismen zu formulieren. “Nein, fangen wir an.“ “Was halten Sie davon, wenn ein alter Mann eine junge, vielleicht sogar minderjährige Geliebte hat?“ “Ihr meint so ein Suggardaddyverhältnis?“ “Sie kennen das Wort?“ “Hey, ich bin zwar alt, aber nicht aus der Welt gefallen.“ “Entschuldigung, das war jetzt ein Schock. Die meisten älteren Leute sprechen so etwas nicht so offen an.“ Es entspinnt sich letztlich ein richtig gutes Gespräch, irgendwann setzen sich die drei Schüler dazu und Herr Nipp gibt ihnen ein Getränk aus. “Ist Sex vor der Ehe in Ordnung?“ “Wie kann man Jugendliche am besten vor grundlegenden Fehlern schützen?“ “Ist Abtreibung in Ordnung“ “Darf man die eigenen Eltern hintergehen?“ “Was ist schlimmer: Fehlverhalten oder Bigotterie?“ usw. Die Fragen werden abgearbeitet und nach bestem Gewissen beantwortet und plötzlich haben die Schüler so viele andere, neue Fragen, die ihnen ganz spontan einfallen. Vielleicht gerade, weil sie nicht mehr in ihrer Schulblase sind und sich mit einem Menschen aus der realen Welt unterhalten. Gut gelaunt bedanken sie sich und wollen gerade gehen, als Herrn Nipp noch eine Frage auf den Nägeln brennt: “Gehören die drei da drüben auch zu eurem Kurs?“ “Ja, aber die haben ein ganz anderes Thema, die entwerfen einen Dialog zwischen zwei Freundinnen von Gretchen in der Alltagssprache.“ “Thema?“ “Gretchen ist schwanger geworden, dabei war sie doch immer die zurückhaltendste und gläubigste von allen.“ “Jetzt verstehe ich, was ich da eben gehört habe. Ich dachte schon, ihr wäret noch genauso engstirnig wie die Menschen zu meiner Jugend.“ “Das sind wir, aber meistens geben wir das nicht zu.“

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