Über überschreiben

Nichts will so, wie es soll, meist kommt ungefragt etwas anderes heraus. Und wenn er die bessere Alternative gerne hätte, versteckt und verweigert sie sich, bleibt in der Deckung und harrt dem nicht entdeckt Werden. Verzweifelt versucht er vergebens eine Formulierung zu finden, die der blassen Langeweile des Gemeinplatzes fröhlich schillernd zu entkommen weiß, sozusagen dem Leben unter die Röcke schaut. Kein Lichtblitz oder ein solcher des Geistes, der freiwillig Hilfestellung leisten könnte. Herr Nipp müht sich und bemüht Synonyme, ersetzt einzelne Worte, sucht Metaphern und sonstige Bilder, statt alles neu zu denken. Letztlich kommt er bei der ersten Variante wieder an und muss sich nach allem Überschreiben verblüfft eingestehen, dieser erste Entwurf eines Satzes hatte ohne Umschweife alles in sich, was zu sagen ist. Der Rest wäre hohles Geschwurbel, hübsch und inhaltsleer.

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Wahrheit

Dieser Kanal ist nicht der Nabel der Welt, hier werden keine Transfergeschäfte des internationalen Menschenhandels besprochen, auch Rezepte und sonstige Katastrophen des allgemeinen Interesses sucht ein Leser hier vergebens. Politik? Fehlanzeige, wer nicht zwischen den Zeilen lesen kann. Sport! Herr Nipp verweigert sich konsequent der Veröffentlichung seiner Aktivitäten. Wetter aber wenigstens? Das nimmt er hin, reicht doch. All die großen Abenteuer machen andere. Herr Nipp nippt eben, haut nicht auf die Pauke, sondern liebt die leise säuselnden Töne, die sublime Ironie und den Selbstzweifel. Eigentlich schade, denkt der Erzähler, was echt Krasses wäre schon toll. Aber da lächelt der Protagonist verschmitzt, das große, fantastische, verrückte, hippe Leben überlässt er denen, die es brauchen, sein größtes Erlebnis des Tages war die Katze, die neben ihm eingeschlafen ist.

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Regentag

Der Himmel zeigt sein graues Gesicht, Wolken dräuen. Herr Nipp ist im Lieblingsgetränkefachgeschäft seiner Wahl. Dort halten sie extra für ihn und tausend andere Kunden über 50 Biersorten aus gefühlt ganz Europa parat. Er hat sich ein Bayrisches ausgesucht. Vollbier. Heute im Angebot für einen Zehner die Kiste! Läuft wahrscheinlich bald ab. Schmeckt trotzdem. Die etwas unaufmerksame neue Frau an der Kasse hat aber den vollen Preis angerechnet, was erst am Auto angekommen bemerkt wird. Er geht zum Laden zurück und weist freundlich auf das Versehen hin. „Ich muss eben noch zwei Leute abkassieren, dann helfe ich auch ihnen.“ “ Hat keine Eile, bin ja nicht auf der Flucht.“ „Ja, aber gleich regnet es.“ „Das macht nichts, ich liebe Regen.“ Plötzlich wechselt ihr Gesichtsausdruck vom Stress zu überbordender Freundlichkeit. Mit glücklich strahlendem Gesicht lacht sie voller Inbrunst und strahlt ihn selig an: „Ich auch.“

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Ärgernis

Ein gar nicht so alter Sinnspruch gehört zu Herrn Nipp wie seine Füße: Ärgerst du dich, ärgerst du dich. Er weiß, dass genau dies andere Leute freut, wenn sie es darauf angelegt haben. Ein besseres Leben ergibt sich, wenn der Ärger einfach verulkt wird, dann fühlt sich der Ärgernde genauso.
Vor einigen Tagen ging er mit einer Freundin spazieren. Auf dem Rückweg entdeckten sie in Höhe der Försterhäuser, von denen seit Jahren eines leer steht, was auch ein Ärgernis ist, aber das ist frei nach Michael Ende eine andere Geschichte, auf dem Weg eine Tomate. „Wer wirft denn hier Tomaten weg?“, entfuhr es ihm völlig unbedacht. „Vielleicht hat sie ja jemand verloren. Es könnte auch sein, dass sie von einem Tomatenbaum gefallen ist, den du noch nicht entdeckt hast.“ Frotzelnd war die Situation schnell ins Lächerliche gekippt.
Heute machen beide eine Radtour und ziemlich zu Beginn geht es an den drei Forsthäusern, die genau genommen vier sind, vorbei. „Wäre es nicht schön, hier wohnen zu können? Es ist zu ärgerlich, dass dieses Haus leer steht. Dafür würde ich unser sofort verkaufen.“ Das ist jedes Mal Thema, wenn beide des Anwesens ansichtig werden. Herr Nipp sieht das genau so. Er steigt vom Rad und schaut genau hin. Diesmal liegen gleich zwanzig Tomaten auf dem Boden. Eine nimmt er auf und riecht daran. „Das ist ja gar keine Tomate, sondern eine rote Mirabelle. Da hattest du ja sozusagen Recht mit deinem Tomatenbaum.“ „Vielleicht sollten wir noch einmal fragen, ob sie es nicht doch verkaufen.“

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Rascheln

Es knackt und raschelt im Gesträuch, Herr Nipp sitzt mit einem Freund auf einer Bank im Wald. Sie haben sich leise über alles Wichtige unterhalten und genießen ansonsten den Sonnenuntergang, das Farbenspiel in den Gräsern und im Adlerfarm vor ihnen. Das Geräusch wird immer lauter. „Da sind irgendwelche Tiere hinter uns.“ „Vielleicht Wildschweine, dann wird es spannend.“ Schweigen. Plötzlich taucht in dreißig Metern Entfernung weibliches Rotwild auf, nach und nach kommen auch sechs Kälber. Die Tiere haben die beiden offenbar nicht bemerkt. Sie äsen und spielen. Irgendwann, wie auf Kommando, legen sie sich alle unter die hohen Farnwedel, werden unsichtbar, völlig verschwunden. Die beiden stehen auf, entfernen sich leise, keines schreckt auf zur Flucht. „Die waren mir jetzt auch lieber als eine Wildschweinrotte.“ Herr schultert lächelnd seinen Rucksack und geht.

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