Klangteppich

Seit früh morgens sitzt er im Wohnzimmer, hat ein Buch vor sich und eine Brille auf der Nase. Er hat eine Scheibe von Aphex Twin aufgelegt, einem, so vermutet er jedenfalls, britschen Künstler, der in schon lange mit diesen seltsamen Rhythmen und Tönen begleitet. Keine CD, das ist klar, die wird es hier nur sehr selten zu hören geben, sondern eine Vniyl. Der Audiokünstler hat seine Songs auf drei Platten verteilt. Sehr großzügig, denn alle zwanzig Minuten muss der Zuhörer aufstehen und wenden, wenn er nicht dieses hochzarte Klack alle zwei Sekunden in Hintergrund haben möchten, weil die Nadel in ihrer Leerrille keinen anderen Klang findet. Gerade hat er ein Kapitel fast beendet, da ist die Scheibe auch schon wieder am Ende angekommen. Mit einem Freund streitet er oft und beharrlich über die Vor- und Nachteile von CDs, Schallplatten und Streaming. Das Wichtigste scheint Herrn Nipp dabei immer dieser ganz besondere Klang, dafür steht er gerne auf, alle paar Minuten, wenn es denn sein muss. Aber letztlich muss ihm der Tonträger oder -vermitteler der Situation angemessen sein, da ist sogar er pragmatisch. Diese Musik von Aphex Twin ist ihm mehr als Hintergrundrauschen, dafür ist sie auch meist zu komplex. Diese Musik hilft ihm dabei, Bilder zu den Texten, die er liest, zu erschaffen. Wald als Wort ist dann tasächlich ein Wald mit knackenden Ästen und all den Geräuschen, die es dort zu hören gibt, obwohl diese elektronische Musik doch so gar nichts damit zu tun hat. Wort und Klangteppich gemeinsam aber schaffen eine Atmosphäre, die er beim Lesen nicht missen möchte. Gleich wird er irgendwann auch die sechste Seite gehört haben, dann wird er das in weißen matten Karton gefasste Werk wieder an seinen Platz stellen, wird eine ganz andere Msuik zum Frühstück auswählen und sich einen heißen Kakao machen, der passt zu diesem frühen, kühlen und klaren Oktoberwetter.

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Wind und Wetter

Der Wind hat aufgefrischt, vereinzelt schlagen ihm Regentropfen gegen die hohe, die sehr hohe Stirn. Blätter lassen sich von den Böen treiben, werden irgendwo im Gebüsch hängen bleiben und seltsame Töne erzeugen, wenn die Luft sie hin und her bewegt. Er reibt die Hände und ärgert sich, dass die Handschuhe im Garderobenschrank liegen. Da sind sie auch wiklich gut aufgehoben. Egal, denkt er, wird schon nicht zu kalt werden. Aber es wäre fast eine Schande gewesen, den ganzen lieben langen Machmittag im Haus zu verbringen. An den Wegrändern haben die Wildschweine ganze Arbeit geleistet, alles wirkt wie gepflügt. Wäre schön, mal eins zu sehen. Abenteuer pur. Aber die sind, so vermutet Herr Nipp, wohl hauptsächlich nachts aktiv. Letztes Jahr war ihm mal eine ganze Rotte im Wald begegnet. Kein Grund zur Sorge, auf einem Baumstamm still stehend ist man gefühlt fast sicher. Die Sau mit Frischlingen hatte ihn auch freundlicherweise ignoriert. Der Weg ist lang heute. Nachdem er vor dem Essen bereits einen längeren Lauf absolviert hatte, macht sich jetzt jeder Knochen einen Spaß daraus, ihn zu ärgern. Stell dich nicht so an, du bist doch keine Memme. Gedanken überschlagen sich manchmal. Als er am Ziel ankommt, den drei Esskastanienbäumen, liegen dort leider noch keine Käschten auf dem boden. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagte ihm mal eine Bekannte, aber sie stirbt. Er wird noch einmal wiederkommen müssen. Kein Verlust, war trotzdem schön und kurz bevor der Wald zu Ende ist , läuft immerhin noch ein Fuchs über den Weg. Wenn man so will, auch ein kleines Abenteuer.

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Richtungsweisend

Draußen pladdert der Regen auf den Garten, der Teich brodelt, als hätte jemand einen Tauchsieder hineingestellt. Es ist wirklich schön, das was herunter kommt, aber jetzt regnet es auch noch waagerecht, denkt er, als das Telefon klingelt. Ein Freund, er spricht die Wahrheit aus: „Endlich kommt mal was herunter, aber jetzt regnet es auch noch waagerecht.“ Wer beobachten kann, der sehe. In diesem Moment läutet die Türglocke, Herr Nipp öffnet, den Hörer in der Hand, eine Bekannte schüttelt den Schirm aus. „Bin trotzdem nass geworden. Klitschnass. Ist ja schön, dass mal was herunter kommt, aber jetzt regnet es auch noch waagerecht.“

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Bienenstock

Oben in seinem Esszimmer sitzt er am Frühstückstisch und schaut ausnahmsweise mal nicht zum Aquarium mit seinem Gewimmel aus Guppys und Moderlieschen, sondern in den Garten. Irgendeine Bewegung hat ihn irritiert. Die Katze ist gesprungen, vielleicht hat sie versucht, ein Blatt oder ein späte Libelle zu erhaschen, vielleicht auch einen Vogel, was sehr ärgerlich wäre. Sein Blick fällt beiläufig auf den Bienenstock, wo heute wahrscheinlich gar nichts los ist, weil es regnet und kalt ist. Dann braucht er auch nicht zu schauen, ob schon asiatische Wespen ihr Unwesen treiben. Nachmittags wird er heruntergehen zur Bienenbehausung und feststellen, dass dort mehrere Wespenleichen liegen. Die Katze hat offensichtlich ihr Werk getan.

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Räuberteller

Während der leidigen Coronazeit haben sie sich freitags zu dritt viert oder fünft getroffen. Dann gab es Fritten auf einem großen Holzbrett in der Mitte des Tisches und jeder konnte zugreifen wie es beliebte. Dazu gab es Majo und Herr Nipp hat meist „weißen und roten Quack'“ gemacht. Das erste mit Hilfe von Joghurt und Gewürzen, das zweite mit Tomatenmark, roter Konfitüre, Knoblauch und ebenfalls allerhand Gewürzen. Lecker. Sie haben viel geredet und manchmal auch getanzt. Eigentlich die einzige sinngebende Möglichkeit die sinnlose Kontaktsperrenzeit ohne ihre Lieblingskneipe, „Der Golem“, zu überbrücken. Gestern Abend saßen sie wieder da an seinem Tisch. Zu sechst, eine Freundinnem hat ihre Beziehungssituation verändert. Wieder wurde viel geredet, über Urlaube und Verkehr, die Deutschlandtour, die gerade in der eigenen Stadt halt machte, über das Veredeln von Apfelbäumen, auch über den Golem, der inzwischen geschlossen hat. Aber das wichtigste Element ist geblieben, der Räuberteller. Dieses Mal, der Kürze der Vorbereitung geschuldet, nur mit Majo. Hat trotzdem geschmeckt. Lecker.

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