In Augen blicken

Jemandem in die Augen zu schauen und mit dem Blick darin zu verweilen, zeigt etwas über Vertrautheit. Menschen, die du gut kennst, halten einem längeren Blick länger stand, und manchmal brechen beide Sehenden dann in Lächeln oder tosendes Gelächter aus. Manchmal kann dieser Blick auch tröstlich oder verständnisvoll sein oder gar auffordernden Charakter haben. Wer weiß das schon so genau. Blicke sind reine Interpretationssache. Problematisch aber wird es, wenn fremden Menschen zu lange in die Augen gesehen wird, dass wirkt das arrogant oder aggressiv, zumindest aber oft unangenehm. Als Herr Nipp diesen Abend über die Uferpromenade schlendert, er ist zu einem der nahen Stauseen gefahren, um dort zu flanieren und dabei ein Eis zu essen, bemerkt er, dass eine Frau ihn fixiert hat. Warum, kann er sich nicht erklären. Vielleicht liegt es an seiner Kleidung, oder daran, dass er Zeit seines Lebens schon immer ganz leicht unregelmäßig läuft, was daran liegt, dass sein linkes Bein einige Zentimeter Länger ist als das andere. Aber das kann er sich nun gar nicht vorstellen, warum sollte das jemandem auffallen, es gibt so viele andere Menschen, die sich hier aufhalten und wesentlich unrunder laufen. Erst als er näher kommt, bemerkt er den weißen Stock.

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Blickkontakt

Sie hatte doch gestern noch darüber gewettert, dass so viele Leute beim Autofahren telefonieren, denkt er. Jetzt steht sie ihm gegenüber in der Ausfahrt des Supermarktes. Herr Nipp will herein, die junge Dame heraus. Da sie allerdings mitten auf der Fahrbahn steht, kann er nicht vorankommen. Die Autos auf der Straße stauen sich hinter ihm. Keine Bewegung. Das Telefonat, welches sie führt, Smartphone am Ohr, scheint sehr wichtig zu sein, sie bemerkt die Situation nicht, steht da und redet. Irgendwann fährt sie einfach los, im letzten Moment schaut sie ihm in die Augen und dieser Augenblick des Erkennens sagt alles.

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Kauen

Einer seiner Freunde kann eines überhaupt nicht gut haben. Wenn andere Menschen in seiner Gegenwart Kaugummi kauen und noch schlimmer mit offenem Mund, dann kriegt er zu viel. Früher hat man in Herr Nipps Familie gesagt, „da kriege ich die Frengeln“, was immer das auch heißen mag. Auch wenn jemand mit offenem Mund isst, regt er sich gerne mal lauthals auf. „Wir sind hier doch bei zivilisierten Menschen“, heißt es da oder noch drastischer „Schweine schmatzen genauso“. Warum sich einige Menschen darüber aufregen, denkt Herr Nipp, ist klar, sie haben das Gefühl als Mensch missachtet zu werden. Und kürzlich sagte ein junger Mann zu einem anderen, beide standen am Bahnhof neben ihm: „Was du isst, sagt etwas über deine Herkunft aus, wie du isst, über deine Erziehung.“

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Landschaft

An beiden Seiten rauscht schweigend die Landschaft an ihm vorbei, je näher desto Streifen. Weiter hinten liegende Elemente sind klar auszumachen, Bäume, Felder, Wiesen und zwischendurch einige Gebäude. Erst wenn Herr Nipp sich die Mühe macht und Einzelheiten fixiert, seinen Blick daran klammert, was zunächst Augenbewegung und dann eine des Kopfes erzwingt, kann er Einzelheiten Dingfest machen. Etwa die drei Störche, welche sich auf Beute wartend um einen kleinen Tümpel eingefunden haben oder das alte Gehöft, dem auf einem Gebäudeteil offensichtlich das Dach fehlt. Einmal macht er zwei Menschen mit Hund aus, die in freier Umgebung streiten. Autofahrten haben für ihn etwas herrlich Abstraktes. Die erlebte Realität wird zu einem fremden Kunstwerk, das er selbst zu malen nicht im Stande wäre, das er aber mit bestehenden Werken vergleichen kann. Nur manchmal rückt ihm die Realität als hinten sitzender Mitfahrer sehr nahe, jedesmal wenn er im Stau steht.

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jetzt aber endlich

„Ich sollte endlich einen eigenen Roman schreiben…“, murmelt er immer wieder leise vor sich hin, ohne es selbst zu bemerken. Schon seit Jahren hadert er mit sich, dass sein Glaube ans eigene Mittelmaß ihn davon abgehalten hat. Themen hätte er genug gehabt über das letzte Jahrzehnt. Über einen echten Naturburschen hatte er einige Seiten verfasst, auch eine schöne wie struppige Emanze hatte ihn zu einer lämgeren Geschichte inspiriert. Aber nie war es ihm gelungen, mehr als zwanzig Seiten niederzuschreiben. Schon alleine das Miteinanderverstricken und von einander entfernen verschiedener Figuren war ein Graus gewesen. So viele Romane, die er unter analytisch hermeneutischen Gesichtspunkten gelesen, ja manchmal verschlungen hatte, aber wenn es drauf ankam, dann musste er immer scheitern. Manchmal hätte er sich geradezu in die Figuren verliebt und darüber vergessen, sie auch potentiellen Lesern attraktiv zu gestalten. Es reichte ihm dann sein eigenes Wissen. Die schwierigen Charaktere mussten darüber anstrengend, die sympathischen kryptisch werden. Und irgendwann landeten die meisten Blätter als Anzünder im Ofen. Aber er wird, das weiß doch jeder, im Nu mit diesem neopostneodadaistischen Ansatz alles das hinter sich lassen. Keine Sorge, morgen sind die völlig worren 298 Seiten fertig. Super, jetzt aber endlich.

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