Kerne

Das ist es also, was dieser Autor meint, den ich eben gelesen habe, denkt Herr Nipp. Der hatte über seine Motivation zu schreiben geschrieben, da ging es natürlich auch um jenen Kern oder auch Nukleus, das Wort, um das herum sich ein Text entspinnt, weil es so viele Assoziationen erlaubt oder gerade auch nicht und sich der Schreibende sein Terrain erarbeiten muss. Da wird auch von den weiteren Maßnahmen geschrieben, die dazu beitragen, in einen Schreibfluss zu kommen, der den Text geradezu sprudeln lässt. Herr Nipp also hat sich eine alte Schallplatte aufgelegt, per Zufall aus dem Stapel genommen, den er für seine Geburtstagsfeier herausgesucht hatte. Nach und nach hat er in den letzten Wochen diesen Stapel abgearbeitet, die Vinyls gespielt und zurückgestellt und jetzt stehen vor dem Plattenspieler nur noch 20 oder wenige weniger. nicht so ganz davor, eigentlich darunter, weil sein Teller oben auf der Fensterbank rotiert und sich nicht wie die Tonträger auf dem Boden befindet. „Boys don´t cry“ also von The Cure, eine Platte, die ihn schon seit seiner frühen Jugend begleitet, eine der ersten, die er sich gekauft hatte damals, als er auch seine erste Kompaktanlage erworben hatte. Von Hitachi, soweit er sich erinnert. Und plötzlich sind all die Erinnerungen da, an die schönen Stunden unter der Bettdecke, mit einem Buch eingekuschelt, weil er mal wieder keine Heizung an hatte. Vielleicht auch, weil er damals gefühlt nicht so gute Freunde hatte, die sollten sich erst später einstellen. Er erinnert sich plötzlich an die Esskastanien, die er sich immer gekauft hatte im Spätherbst und Winter. Damals gab es noch dieses tolle Gemüsegeschäft an der Ecke. Eigentlich eine ärmliche Holzbude, aber die alte Verkäuferin hatte immer die besten Waren. Seine Mutter hatte immer geschimpft, dass er gerade dort sein Taschengeld ließ. Erstens mochte sie die Frau nicht leiden und zweitens verkaufte sie die Gemüse und vor allem die Nüsse viel teurer als man sie beim Discounter erwerben konnte. Das Argument, dass es dort einfach besser schmeckte, zählte für seine Mutter nicht. Kaum hat er angefangen zu schreiben, ist die erste Plattenseite auch schon vorbei. Er steht auf, dreht die LP um und möchte zum Ende kommen, will seinen Text fertig kriegen, schließlich soll ja kein Roman entstehen, sondern ein kurzer, ein knackiger Text über seinen Vorgarten. Aber wo er schon mal dem Schreibsessel entkommen ist, geht er noch kurz zur großen Schale mit den Walnüssen in den Nachbarraum, füllt sich einige in eine kleine Schüssel und hat eine unglaublich Freude am Knacken. Mit den Nüssen ausgerüstet begibt er sich zum Rechner und schreibt den Text zu Ende. Zack zack. Ja denkt er, es braucht nicht einen Kern, sondern Kerne, um einen guten Text zu verfassen.

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