Eine ganze Gruppe junger Menschen sitzt auf den Stufen eines Kaufhauses der Kleinstadt, in welcher er wohnt. Ganz ernsthaft unterhalten sich die drei Jugendlichen offenbar über jemanden. “Nein, das kann doch nicht sein.“ “Doch die nicht!“ “Man kann es sich gerade gar nicht vorstellen, dass gerade unserer kleinen Heiligen sowas passiert.“ Immer wieder schreiben sie zwischendurch irgendetwas in ihr mitgeführtes I-pad. Zwischendurch kichern sie. Empörung und Spaß an der Sache scheinen sich ständig abzuwechseln. Völlig in ihr Ding vertieft zeiht die Welt an ihnen vorbei. Herr Nipp hat sich inzwischen einen Kaffee bei der gegenüberliegenden Bäckerei bestellt und hat sich einen unauffälligen Ort gesucht, von dem aus er alles überblicken kann. Hier eine Kleinfamilie mit quengelndem Kind, dort die Jugendlichen, einige Rentner hat er auch schon ausgemacht, die seit inzwischen gut zwanzig Minuten da sitzen, in aller Ruhe ihren Kuchen Stück für Stück genießen und sich aktiv anschweigen. Bei den Jugendlichen wird es manchmal lauter, dann hört er auch Gelächter, nicht fies, sondern echt belustigt und manchmal irgendwie wissend. Aufgeschreckt wird er, als er von einer weiteren Gruppe Jugendlicher angesprochen wird. “Wir sind Schüler des Deutsch-Leistungskurses. Haben Sie eventuell Zeit, einige Fragen für ein Unterrichtsprojekt zu beantworten?“ “Natürlich werde ich euch unterstützen, wenn es mir möglich ist. Ich habe nicht so viel Ahnung von Literatur.“ “Nein, nein, das sind nur ganz allgemeine Fragen, für die man nichts über Literatur wissen muss. Wir machen eben ein Projekt. Unser Lehrer ist der Meinung, wir sollten Unterricht auch mal außerhalb der Schule machen, damit wir nicht nur in einer Blase leben, sondern auch die Realität erleben.“ “Na dann, man tau.“ “Bitte?“ “Dan man zu, fangen wir an.“ “Also, wenn sie nicht antworten wollen, weil es eventuelle peinlich ist, dann ist das völlig in Ordnung.“ Er wundert sich, dass Jugendliche dieser Tage tatsächlich in der Lage sind, ganze Sätze ohne Digga und Alta und Anglizismen zu formulieren. “Nein, fangen wir an.“ “Was halten Sie davon, wenn ein alter Mann eine junge, vielleicht sogar minderjährige Geliebte hat?“ “Ihr meint so ein Suggardaddyverhältnis?“ “Sie kennen das Wort?“ “Hey, ich bin zwar alt, aber nicht aus der Welt gefallen.“ “Entschuldigung, das war jetzt ein Schock. Die meisten älteren Leute sprechen so etwas nicht so offen an.“ Es entspinnt sich letztlich ein richtig gutes Gespräch, irgendwann setzen sich die drei Schüler dazu und Herr Nipp gibt ihnen ein Getränk aus. “Ist Sex vor der Ehe in Ordnung?“ “Wie kann man Jugendliche am besten vor grundlegenden Fehlern schützen?“ “Ist Abtreibung in Ordnung“ “Darf man die eigenen Eltern hintergehen?“ “Was ist schlimmer: Fehlverhalten oder Bigotterie?“ usw. Die Fragen werden abgearbeitet und nach bestem Gewissen beantwortet und plötzlich haben die Schüler so viele andere, neue Fragen, die ihnen ganz spontan einfallen. Vielleicht gerade, weil sie nicht mehr in ihrer Schulblase sind und sich mit einem Menschen aus der realen Welt unterhalten. Gut gelaunt bedanken sie sich und wollen gerade gehen, als Herrn Nipp noch eine Frage auf den Nägeln brennt: “Gehören die drei da drüben auch zu eurem Kurs?“ “Ja, aber die haben ein ganz anderes Thema, die entwerfen einen Dialog zwischen zwei Freundinnen von Gretchen in der Alltagssprache.“ “Thema?“ “Gretchen ist schwanger geworden, dabei war sie doch immer die zurückhaltendste und gläubigste von allen.“ “Jetzt verstehe ich, was ich da eben gehört habe. Ich dachte schon, ihr wäret noch genauso engstirnig wie die Menschen zu meiner Jugend.“ “Das sind wir, aber meistens geben wir das nicht zu.“
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