Gemogelt

Als Kind in der Schule hat er auch gemogelt, das war in der ganzen Klasse so etwas wie Sport. Seine Mitschüler und er haben wahrscheinlich mehr Zeit mit dem Austüfteln von neuen Mogelstrategien bei Klassenarbeiten verbracht als mit dem Lernen von Unterrichtsinhalten. Schon alleine deshalb, weil es unnötig schien. Das Gehörte saß eigentlich immer schon fest, da brauchte es nicht der weiteren Verfestigung durch Wiederholen und Wiederholen und Wiederholen. Vor allem in Fächern wie Mathematik war ihm diese Langeweile des Vertiefens, wie es der Lehrer damals nannte, ein Graus. Wenn doch alle Freunde draußen waren, die zugegeben eher die Real- und Hauptschule besuchten und noch weniger lernen mussten als er, wieso sollte gerade er drinnen bis vier Uhr, so hatte es die Mutter vorgesehen, am Esszimmertisch sitzen und Aufgaben machen. Kontrolliert hat sie diese allerdings nie, wenn dann doch eher der Vater und selbst diesem gewissenhaften und Strengen Kontrolleur konnte man Sachen unterjubeln, die in der Schule entstanden waren. So hatte der kleine Herr Nipp eben andere Bücher mit auf dem Tisch liegen, die er viel lieber lesen wollte, z. B. den Kosmos Insektenführer, um auch ja alle Gliederfüßer zu kennen, falls mal irgendjemand darüber sprechen sollte oder das Standardwerk „Orchideen Europas“, obwohl er wusste, niemand würde sich dafür je interessieren, auch die „Mineralienkunde“ oder der Bestseller „Mineralien und Fossilien au dem Sauerland“ galten seinen Mitmenschen doch eher als Randerscheinungen des Bildungskanons. Er aber hatte jeden Tag Zeit, zwei Stunden mit den Dingen zu verbringen, die ihm wirklich etwa bedeuteten und die Hausaufgaben konnte man auch morgens vor der Schule von den Mitschülern abschreiben. Und die Lateinnote hat ihn nie interessiert. Heute sieht Herr Nipp die ganze Sache etwas anders. Die Themen, die ihn damals so in Bann geschlagen haben, sind dieser Tage virulent. Natur und Ressourcen, wo gibt es Lithium, wo die letzten ihrer Art, sind ins Zentrum der gesellschaftlichen Betrachtung gerückt. Heute ist Herr Nipp froh, damals gemogelt zu haben.

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