Nicht gesucht

Schon klar, man sollte eine Geschichte und sei sie noch so klein, nicht mit einer negativen Überschrift beginnen, niemand würde sie lesen. Und schon gar nicht geht es etwa, den Text selbst in irgendeiner Weise mit Verneinungen zu beginnen. Der geneigte Leser könnte ja zu einem ungeneigten Nichtleser werden. In so kurzer Zeit so viele Negationen einzubauen ist andererseits auch wieder ganz lustig. Herr Nipp sieht das natürlich ganz anders. Er würde die Geschichte selbst mit der Überschrift „Gefunden“ versehen und alles wäre schon ein wenig schöner, das Positive seines Denkens und Handelns, sein sauerländisch pragmatisches Nörgeln hätte dann den Impetus des Progressiven. Gut, versuchen wir es anders.

Gefunden

Sonntags geht Herr Nipp mit einem seiner Freunde nach dem Frühstück (das etwa um halb neun beginnt (nach einem Bachkonzert, welches der Freund nunmal hören möchte), immer mit Brötchen von einer Bäckerei , die mit Dinkelmehl backt und Eiern vom Biostand des hiesigen Marktes), so das Wetter es zulässt oder keine anderen Termine dazwischen kommen und das kann natürlich immer mal auf der anderen wie der einen Seite passieren, eine Runde spazieren. Ein Stündchen könnte man sagen, denn alles zwischen einer und drei Stunden ist ein Stündchen Spazierengehen. Da das Wandern ja erst nach drei Stunden beginnt, ist es bisher erst ein oder zwei Male vorgekommen, dass die beiden gewandert sind, aber das ist natürlich Wortklauberei und mit Wortklauberei wollen wir uns hier gefälligst nicht befassen. Auch wenn beide eine riesengroße Freude an allen Spielen haben, die sprachlicher Natur sind, manchmal auch der ausgiebigen Rabulistik fröhnen und sie sich gegenseitig ihre sorgsam abgewogenen Aussagen sozusagen im Mund verdrehen und dem jeweils Anderen genüsslich als Denkfehler präsentieren, alles ist wirklich im tiefsten Sinne freundlich freundschaftlich gemeint. Letztlich lächelt der eine oder der andere über den einen oder den anderen Freund. Ja, manchmal geht der Eine oder der Andere als waschechter Trottel aus dem Tag, aber auch das ist nicht böse gemeint. Jeder Niederlage des Einen, soviel ist mal sicher, folgt ein gegönnter Sieg des Anderen, aber das ist sicherlich ein Denkfehler.
An diesem Sonntag wollen die beiden auf Wunsch von Herrn Nipp noch kurz über den ortsnahen Trödelmarkt schlendern, nicht um etwas zu suchen, sondern um ganz überrascht etwas zu finden, was man eigentlich nicht erwartet hätte oder immer schon im Leben vermisst hat, ohne es jemals gewusst zu haben. Das Schöne an diesen Märkten, die neben neuem, ach so günstigen Müll, meist aus Plastik oder Kunststoff, auch alten Müll als Raritäten versammeln, ist die zumindest gedachte Möglichkeit, in irgendeiner Kiste eine wahre Rarität zu finden und diese auch noch nach einem anstrengenden Handel um in der Regel zehn bis zwanzig Prozent zu kaufen. Freut sich Herr Nipp nicht heute noch über die wirklich schöne Farbradierung von Johhny Friedländer, die er samt Rahmen für zwölf Euro erwerben konnte, oder die Grafiken eines Soester Expressionisten von 1919, bei denen er bis heute nicht weiß, ob es sich nicht doch vielleicht um Nachdrucke oder Fälschungen handelt. Dieses Mal findet er an einem Stand einen angeblich funktionierenden Dimmer in Originalverpackung für vier Euro, einen achtziger Jahre Silberring, der ihn an seine eigene Jugend erinnert, als er selber noch mit mindestens vier Ringen an jeder Hand herumgelaufen ist. Das Radio aus den sechziger Jahren kauft er dann doch nicht, obwohl es ihm wirklich gefällt, aber er weiß eigentlich gar nicht, wohin er das denn wohl stellen sollte. Der Freund ist wirklich skeptisch, schaut mal hier, mal da, alles auf einer ironischen Metaebene. Irgendwie aber scheint ihm das ganze Treiben doch zu gefallen. Alle Besucher und Verkäufer tragen Masken und so kann man sich schon sicher fühlen, weil niemand dem anderen nahe kommt. Anders als früher einmal auf solchen Märkten, wird tatsächlich Abstand gewahrt. Diese pandemischen Zeiten scheinen etwas verändert zu haben. Plötzlich bleibt der Freund wie gebannt stehen. „Was kostet das?“ Die Frau schaut ihn unsicher an, als er das Portemonaie zückt sagt sie ganz ruhig: „Zehn, eigentlich fünfzehn.“ „Gut.“ So schnell hat sie wahrscheinlich noch nie etwas verkauft. Sie mag sich vielleicht auch denken, was gewesen wäre, wenn sie zwanzig oder gar dreißig gesagt hätte. Egal, Chance vertan, der Kauf ist getätigt und Herr Nipps Freund wiegt ihn in den Händen, glücklich. Seit Monaten schon hatte er sich gewünscht, genau dies zu bekommen und jetzt und hier? Beide wissen, das macht den Reiz eines mittelmäßig schlechten Trödelmarktes aus. „Man könnte sagen, -Nicht gesucht und doch gefunden!“

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