das Dunkel sehen

Seien wir ehrlich, die meisten Fernsehserien sind sowohl ihre Geschichte betreffend als auch die schauspielerische Leistung eher ein Fliegenschiss auf einem Rattenschwanz denn Kunst. Sie werden runtergedreht und wenn die Einschaltquoten stimmen, dann geht es in eine nächste Staffel. Einige Serien schaffen es als tägliche oder wöchentliche immerhin über Jahre zu bestehen. Die schlimmsten Zeitdiebe sind dabei Liebestragödien, die allerdings auch die meisten Fans haben. Wer selbst keine Liebesgeschichte hat, will wenigstens die anderer sehen. Herr Nipp hat eine Freundin, die tatsächlich jeden Tag irgendwann diesem Wahn erliegt, natürlich schaue sie nur auf einer Metaebene, haha.
In seiner Studienzeit hatte er selbst eine Hausarbeit über eine Fernsehserie verfasst, den Ort besucht, wo sie gedreht wurde, mit Schauspielern und Ausstattern und dem Produzenten gesprochen. Mehrfach war er dorthin gefahren und wurde irgendwann von den dort Arbeitenden mit vornamen begrüßt. Ja, er hatte damals sogar das Angebot bekommen, dort zu arbeiten. Das hatte er allerdings abgelehnt. Im Nachhinein vielleicht ein Fehler, wahscheinlich aber nicht. Das Leben hätte andere Bahnen annehmen können. Im Nachhinein würde er selber allerdings nicht an seinen Entscheidungen ändern. Auch wenn es manche Sackgasse gab, aber das ist jetzt egal. Er will nicht mit Groll nach hinten schauen, das passt auch ehrlich gesagt nicht zu seiner Lebenseinstellung, das überlässt er lieber anderen. Ihm ging es damals darum, zu erfahren, inwieweit die an den Wänden hängenden Bilder in den Wohnungen denn wohl die Charaktere spiegeln würden und tatsächlich hatten sich die Ausstatter darüber eingehende Gedanken gemacht. Wenn auch anders, als er sich das hätte vorstellen können. Dort waren Bilder in Kathegorien gefasst worden. Die Bilder sind für Spießer, die für Innovative, die für Chaoten, die für biedere Hausfrauen und so weiter. Natürlich gehört in einen bieberen Haushalt eine Gebirgslandschaft und ein impressionistisches Kalenderbild. Natürlich hat die Intelligenzia abstrakte Werke an der Wand, die irgendwie bekannt scheinen und doch den Originalen nachempfunden sind, denn sonst könnte es ja vielleicht irgendwelche Forderungen geben, weil die Künstler noch nicht seit über siebzig Jahren verstorben sind.
Zur Zeit schaut er selber eine Serie bereits zum zweiten Mal, die es ihm irgendwie angetan hat. Auch wenn dort die Sonne scheint, wirkt es irgendwie düster, in den Wohnungen und Häusern ist zu wenig Licht, definitiv. Und trotzdem wirkt es irgendwie echt. Seien wir ehrlich, viele unserer Häuser sind wirklich so düster, vielleicht weil wir immer noch heimliche Höhlenmenschen sind. Auch die Figuren werden erst nach und nach gezeichnet, zeigen viele Facetten, unerwartete Vergangenheiten und nie weiß man so ganz genau, wo und wann wann die Geschichte spielt, zumindest nicht im ersten Augenblick. Nichts ist sicher. Und ist nicht ihre Tochter auch gleichzeitig ihre Mutter? Dort wird mit Träumen des gleichzeitig antagonistischen Protagonisten Verwirrung erzeugt, einerseits, andererseits tritt seine protagonistische Antagonistin gleich in vier verschiedenen Versionen auf, wenn man die Tote hinzunimmt, sogar in fünf. Wer wer ist und was will? Worum es eigentlich geht? Sicherlich handelt die Geschichte vom Determinismus der Welt. Alles ist vorbestimmt und egal, was jemand macht, es verändert nichts, weil alles schon geschehen ist, auch die Zukunft. Vielfach. Wann etwas ausgelöst wurde, ist unsicher, was eine Handlung auslösen wird, ebenfalls. Vielleicht auch das Gegenteil des Beabsichtigten? Es geht zu wie auf dem Aktienparkett, auf- und abwärts innerhalb weniger Augenblicke, alles kann etwas bedeuten oder verursachen, jede Aussage könnte die Zukunft bestimmen, aber so richtig versteht keiner, worum es eigentlich geht. Und am Ende?

Herr Nipp muss diese Serie einfach noch einmal durchleben, denn sie ist wie ein gutes Buch. Wie eine Literatur, die den Leser in eine eigene Welt zieht. Herovrragend durchdacht, ebenso gespielt und vor allem nach drei Staffeln abgeschlossen. Und wer weiß, vielleicht hilft es ihm, seine eigene Welt ein wenig besser zu verstehen, denn auch er hat schon immer mal Fehler in der Matrix entdeckt.

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