Es war einfach nicht zu erklären, was war damit los. Da gab es Seiten mit nur wenigen Worten, und wenn ich wenige sage, dann meine ich wenige, also im Sinne von kaum welche, die aber ungezählt waren, vielleicht sogar unzählbar, trotz allem taten sich da Welten auf, in denen er sich verstricken konnte und manchmal nur durch Zufall wieder herausfand. Dann ganz entrückt von seinem Zuhause, in dem er doch saß. Herr Nipp hatte sogar den roten Ohrensessel weg gegeben, weil er zunächst daran glaubte, an dem liege es, dass er immer beim Lesen alles um sich herum vergaß. Es ging um unglaubliche Ereignisse, die ihn auch im Nachhinein beschäftigten. Tage lang. Einmal hatte er an einer solchen Seite, die eigentlich nach nichts aussah, eine ganze Woche lang gelesen und war gefühlt nicht zum Ende gekommen. Ungewöhnlich und ihm selber unerklärlich sicher. Er hatte ein oder mehrmals erlebt, dass er geradezu in eine Geschichte gerutscht war, dabei konnte das doch nun wirklich nicht sein sein. Zwischen den Worten und Zeilen schienen sich Abgründe und ganze Landschaften aufzutun, ganze Generationenkonflikte und immer wieder die Reise in andere Zeiten und Weltteile. So etwas, und das weiß natürlich jeder regelmäßige Leser, gibt es normalerweise nur in Fantasygeschichten und mit denen will Herr Nipp gar nicht zu tun haben. Wenn er schon an die kitschigen Bilder auf solchen Büchern denkt, könnte jedes Mal ein Würgereiz seinen Hals zusammenziehen. Auch wenn er in seiner Jugend mit diesem Genre durchaus vertraut war und ganze Berge davon verschlungen hat, hat er das als gestandener Realist doch weit hinter sich gebracht, sehr weit.
Auch diesen Abend hat Herr Nipp sich das Notizbuch aus dem Regal im Tresor genommen, ja, im Tresor, denn den Wert eines solchen Schatzes hat er wohl erkannt. Eigentlich, scheint es ihm immer wieder, ist dieses Buch wirklich unbezahlbar wertvoll, zumindest würde er sich selber niemals wieder freiwillig davon trennen wollen, auch wenn ihm riesige Summen geboten würden. Da aber hoffentlich niemand um diese Inkunabel des Geheimnisvollen in seinen Händen weiß, wird ihm auch niemand etwas dafür bieten. Er hofft zumindest immer, dass niemand darum weiß, denn was könnten nicht alles für Verwicklungen um die paar Seiten im gebundenen Pappdeckel entstehen. Dafür ist er nun wirklich nicht geschaffen. Diesen Abend hat er sogar das Gefühl gehabt, das Buch habe ihn gerufen, auch wenn er das selber ins Reich einer innereen Überspanntheit zurückweist. Ja, er hat in den letzten Tagen einigen Stress und sogar unangenehme Auseinandersetzungen gehabt, aber soweit, hatte er zumindest bis zu diesem Moment gedacht, sei es noch nicht gekommen. Ein Buch, welches doch Tatsächlich aktiv kontakt aufnimmt, als sei das selbstverständlichste von der Welt. Ganz ruhig bleiben und sich treiben lassen. Ein Buch kann nicht rufen, bei seinen Untersuchungen des Einbandes hat Herr Nipp zumindest noch nicht einmal das kleinste Zeichen für eine eventuell verborgene Technik entdeckt, die dafür sorgen könnte, man habe das Gefühl gerufen zu werden. Und das Handy hat er seit Tagen abgeschaltet. Ganz ruhig bleiben, wirklich. „Isso,“ denkt er.
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