Notizbuch oder manchmal verliert man sich im Fantastischen I

Regelmäßig abends schaut Herr Nipp in dieses schwarz gebundene Buch mit dem schönen Papier. Ganz feines weiches Bütten mit gerissenen Seiten. Wer dieses Buch öffnet, wird von einem warmen Duft empfangen, wie ihn nur dieses Buch haben kann. Der ganze Raum scheint dann aufzublühen. Das leicht gelbliche Papier muss dabei schon uralt sein, denn es ist kaum vorstellbar, dass es heute noch Papiermacher und Buchbinder gibt, welche die Kunst beherrschen, aus solchen Fasern etwas so Schönes herzustellen. Obwohl der Einband weitgehend ohne Schnörkel gestaltet ist, scheint es, als sei eine besonders ausgewogene und schöne Komposition erreicht worden. Der Raum ist erfüllt von einem beruhigenden Duft, bei dem Herr Nipp sich an so vieles aus seiner Vergangenheit erinnert fühlt, obwohl er ihn vorher wissentlich noch niemals wahrgenommen hat. Seltsam scheint ihm dabei, dass jede Seite anders riecht, angenehm und umhüllend. Nicht wie irgendwelche Aromen, die einem aus Parfümerien oder Kerzengeschäften entgegen schlagen, solchen, vor denen man eher erschüttert weglaufen möchte, weil sie einfach, klatschig und massiv alles um sich herum okkupieren. Rücksichtslos und gnadenlos. Er erinnert eher an leise Spuren von angenehmen Gedanken, sie durch das Zimmer fluten und wabern, die die Sensorik höflich streicheln. Manchmal scheint es ihm beim Aufschlagen, als seien es gar nicht seine eigenen Erinnerungen, sondern die von irgendwelchen anderen Leben, die vielleicht schon vor langer Zeit gelebt wurden. Die im Buch befindlichen Schriften unterstützen diese These. Viele verschiedene Handschriften finden sich auf den Seiten, kleine zackige und große weit geschwungene, da gibt es die alte Frakturschrift und sogar kyrillische Texte hat er bereits entdeckt. Glücklicherweise scheinen die allesamt übersetzt worden zu sein, so dass er alles lesen kann. Oder sind sie gar nicht übersetzt und Herr Nipp glaubt nur, dass er alles lesen kann? Letztlich egal, er liest und fühlt sich wohl dabei. Die Textauswahl reicht von Wünschen bis zu Erinnerungen, natürlich auch waschechten Abenteuern, die mit kleiner, feiner oder krakeliger Schrift notiert sind. Niemals ist ein Name zu finden, weder vom Schreiber, noch von den Figuren. Jedes Mal, wenn er in diese etwas befremdliche Welt eintaucht und manchmal auch die gesamte Nacht darin liest, wundert er sich, das dieses Werk nur so wenige Seiten besitzt. Schon als er es damals in einer verstaubten Kiste auf einem Trödelmarkt entdeckt hatte, fühlte er sich angezogen und angesprochen beim ersten Blättern. Er musste es haben und hatte den geforderten Preis, ohne auch nur irgendwelche Anstalten, handeln zu wollen, gerne bezahlt. Bücher sind in der heutigen Zeit sehr günstig zu haben. Oft werden sie für wenige Euro abgegeben. Niemand möchte sich mehr mit einer Bibliothek belasten. Das gebundene Schriftstück mit Pappdeckel ist zur Wegwerfware geworden, seit die sogenannten Reader mehr und mehr den Literaturmarkt erobern, ja, sein man Geschichten im Netz kostenfrei lesen kann. Ex und Hopp.

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