Früher war – das alte Märchen

Manchmal erwischt er sich bei dem Gedanken „Früher war alles besser!“ und dann muss er wirklich grinsen. Dann fragt er sich ganz bewusst: „Was denn?“ Und nur in Bezug auf die Landschaften, die ihm damals noch intakter wirkten und auf die alten Häuser, die damals noch nicht alle abgerissen waren oder vor der der Verwahrlosung standen, weil Investoren sie gekauft hatten, um sie später dem Erdboden gleich zu machen und dann hässliche Einheitsklötze dahin zu setzen, fällt ihm überhaupt etwas ein. Die Telefone hatten noch Wählscheiben, klar, das hat sie aber nicht besser, sondern nur haltbarer gemacht, dafür fehlten ihnen auch sämtliche anderen Funktionen, die wir heute für selbstverständlich erachten, solange wir nicht auf dem Trip sind, alles Technische zum Herumtragen zu verteufeln und dafür stundenlang daheim vor dem Bildschirm zu sitzen und so zu tun, als sei das intellektueller als auf das Smartphone zu glotzen. Fotos zu machen war teuer, weil jedes Bild entwickelt werden musste und hatte man den Fehler gemacht, nicht genügend Filme mit in den Urlaub genommen zu haben, musste man am Urlaubsort gleich den dreifachen Preis bezahlen. Außerdem konnte man die Fotos erst sehen, wenn man zu Hause war und wer wusste schon, ob man die Kamera richtig bedient hatte. Herr Nipp hatte übrigens beim Aufräumen im Keller kistenweise nie gesehenes Fotos entdeckt, die unscharf oder zu hell, zu dunkel waren, teilweise wirkten die Abbildungen auch eher wie Abstraktionen nach Richtermanier, denn wie Fotos. Teuer Spaß dann. Die Autos damals waren kleiner und vielfach sicherlich auch irgendwie schöner, aber sie haben echt widerlich gestunken und machen wir uns nichts vor, sie waren unsicher. Herr Nipp muss da nur an die eigene Ente von Citroën denken, deren Blech so dünn war, dass er regelmäßig Macken hatte. Gut, dafür konnte ein Kotflügel eben einfach abgeschraubt und ersetzt werden. Vier Schrauben. Der Solexvergaser jedoch war eine echte Umweltsau und manchmal glaubt der Herr, dass er Glück gehabt hat, daran nicht vergiftet worden zu sein. Herr Nipp kann sich noch gut daran erinnern, dass er jeden Mittwoch, wenn er mit seiner Mutter zur Verwandtschaft auf dem Bauernhof fuhr, um Eier zu holen auf einem bestimmten Berg im Stau stand und man es kaum aushalten konnte vor Gestank. Heute erlebt man das glücklicherweise Nur noch, wenn irgendwo Oldtimertreffen sind. Dann liegt meist ein blauer Dunst über der CARavane, fast so, als hätten sich Hunderte Kettenraucher zusammengetan, nur um der Nachbarschaft erstmal richtig zu zeigen, wie toll es ist, sich täglich 60 Zigaretten reinzupfeifen. Ja, diese alten Autos sehen wirklich zum Teil sehr schön aus, wir sollten uns jedoch andererseits wirklich auch mal die Frage stellen, ob es förderungswürdig ist, die alte Technik darin zu erhalten. Ausgestattet mit einem sauberen Motor, welcher Art auch immer, wäre dieses Fahrzeug doch viel sinnvoller. Aber niemand sollte in Gegenwart von Oldtimerfetischisten das Sakrileg begehen, das auch offen auszusprechen. Früher war nicht viel besser, so viel muss klar sein.
Jede Technik jedoch hat ihre Zeit, jede Zeit hat ihre Reize. Herr Nipp wäre gerne Anfang der Achtziger Jahre etwas älter gewesen, weil er einige Bands dann hätte erleben können, die es kurz danach so nicht mehr gab. Ja, stimmt, aber andererseits ist er ganz froh darüber, genau in die Zeit herein gewachsen zu sein, die ihn sozialisiert hat. Er hätte auch gerne Anfang der Neunziger in London, Hamburg oder Berlin die Musikszenen persönlich kennengelernt, aber auch so hat er genug davon mitbekommen. Und die Vinylscheiben davon stehen schließlich immerhin bei ihm im Wohnzimmer.
Nein, eigentlich ist Herr Nipp ganz zufrieden mit der Zeit, in der er lebt, denn zu kritisieren gibt es genug, unzufrieden sein kann er immer und glücklich ist er sowieso eigentlich meistens. Schon wenn er in den Garten schaut, die Blumen blühen und verwelken sieht, wenn die Mauersegler mit ihrem Gekreische den Himmel durchschneiden oder wenn genau der sich wie gestern Abend wieder mit einem Festival der Farben vom Tag verabschiedet.

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