Waldstand

Den ganzen Abend hatte Herr Nipp im Netz gesucht. Irgendwer in der Nähe würde ja vielleicht ein Stück Wald zu verkaufen haben. Nein, nicht in der Nähe. Alle Angebote lagen mehr als 30 Kilometer entfernt. Zu weit zu fahren. Schade. Herr Nipp würde in dieser Zeit des Fichtensterbens, des Kiefernsterbens gerne ein Stück selber aufstocken. Nicht um daraus Gewinn zu generieren, sondern um selber zu sehen, wie sich ein Wald entwickelt, zumindest über die nächsten zwei, vielleicht auch drei Jahrzehnte. Eine Idee für die Zukunft nach ihm. Er möchte gerne seinen Traum von Wald realisieren. Mischwald. Er weiß wohl, dass das ganz gehörig in die Hose gehen kann. Was aber, wenn nicht Bäumchen gepflanzt werden, sondern Samen gelegt? Eicheln der Stiel-, Trauben-, und Roteiche, Bucheckern, Ross- und Edelkastanien, Ahornsamen, sogar Kirschkerne, Apfelsaat. Was wäre da alles möglich? Elsbeeren, Mehlbeerbäume, Faulbäume, Traubenkirschen, Lärchen, Tannen, Kiefern, Douglasien, Schwarznüsse, Walnüsse, Ilex, Eschen, an feuchten Stellen Erlen, Linden, vielleicht hätten sogar Ulmen dann wieder eine Chance. Herr Nipp träumt von einem Stück Natur, mit verschiedenen Pappelarten, verschiedene Weiden, Birken, mit Ginster, Felsenbirnen, Ebereschen, Hainbuchen, Kornelkirschen, Zitterpappeln, Haselnuss, Schneeball, Holunderarten, Schlehe und Berberitzen, Eiben, Heckenkirschen, mit Nahrungslieferanten für das wilde Leben. Herr Nipp möchte gerne einen Wald aufbauen, der als echter Mischwald funktioniert und seien es erstmal nur zwei Hektar. Zehn wären sicher besser, da könnte mehr Vielfalt realisiert werden. Sein Gedanke ist, das Laubbäume und Nadelbäume gemeinsam leben können. Er stellt sich vor, dass nicht der wirtschaftliche Ertrag im Vordergrund steht, sondern der ökologische. Wo viele Arten leben, werden fast automatisch weitere Arten hinzukommen. Vögel, Reptilien, Amphibien und vor allem jede Form von Kleinsttieren. Wie Insekten und Spinnen, Asseln, und allem anderen, das da kreucht und fleucht. Sicher werden auch größere Säuger auftreten und sicher werden sie Schäden anrichten. Aber vielleicht wäre das Zulassen eben davon ja auch eine Chance für einen sich selbst regelnden Wald. Mit einigen freien Flächen, auf denen diverse Kräuter und Gräser ihr Zuhause finden. Natürlich Utopien, das ist ihm klar. Auf die lange Zeit gesehen würden sich wahrscheinlich die starken Arten durchsetzen oder anders gesagt die Buche. Aber wer weiß das schon so genau, schließlich werden seit hunderten von Jahren solche Wälder nicht mehr oder kaum noch angepflanzt. Bisher ging es um den Holzertrag, nicht um Vielfalt.
Am Morgen erst war er wieder im Sauerland unterwegs gewesen, war einen großen Teil des sogenannten Rennweges gewandert. Hin und zurück. Der neuen Perspektiven wegen, die sich bieten. Überall mussten in den beiden letzten zwei Jahren die Fichtenbestände gerodet werden, radikal und ohne Rücksicht auf Schlagreife. Die Harvester haben ihre Arbeit radikal gemacht. Da liegen nun brache Flächen auf Kilometer. Wo der Weg einst im Schatten lag, da ist er heute der prallen Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Weit konnte er über die Landschaft sehen, erschreckend weit kann von Wald kaum noch gesprochen werden. Nur die wenigen Laubbaumbestände sind noch erhalten, nur dort gibt es Schatten und das neue Grün ist in den alten Monokulturen noch nicht so sehr aktiv. Trockenheit. Herr Nipp hatte genau da die Idee, dass der Wald in Zukunft auf diesen Flächen eh keinen Gewinn abwerfen wird. Was nun, wenn Leute wie er, die sich ein zwei Hektar kaufen, ein neues Waldbild bauen? Wäre das nicht letztlich sogar für den Tourismus gut?
Es tut mir wirklich leid. Dieses Mal gibt es keine Pointe, kein Happy Ending, da ist kein Witz in der Sache. Er hat kein Grundstück gefunden. Er wird auch in den nächsten Tagen und Wochen wahrscheinlich keines finden, das er bezahlen könnte, er wird weiter spazieren gehen oder wandern und sich Gedanken machen. Er wird auch weiterhin sehen, welche Pflanzen sich auf den Brachflächen selbst ansiedeln und wahrscheinlich wird er mit Bedauern vermerken, dass die Flurstücke nach und nach wieder einmal mit Beständen aufgestockt werden, die genauso einfältig sind, wie sie es bisher waren. Die Einfalt der biologischen Einfallslosigkeit der öffentlichen und privaten Waldbauern, die sich dann in einigen Jahren wundern, dass es mal wieder nicht funktioniert hat. Und die dann feststellen, das sie wieder einmal einige Jahrzehnte verloren haben. Aber Herr Nipp weiß schon, wenn irgendeiner von seinen Gedanken wüsste, dann gäbe er den Waldbauern zu lachen, dann würde er sicher ausgelacht. Kindisch. Ja, Utopien sind eben ein Stück weit naiv.

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