Eigentlich wollte er zu Abend essen, aber das muss nun warten. Er saß da am Tisch und plötzlich und unerwartet beginnt sein Ringfinger zu zucken. Immer wieder hebt er sich Rückhalt von der Tischplatte ab. Herr Nipp hat keine Kontrolle. So etwas hat er noch nie erlebt, zumindest nicht mit dem Ringfinger, alles andere kann ja mal zucken. Aber der Ringfinger?
Vielleicht sollte kurz erklärt werden, wie es wohl dazu gekommen ist, dazu überhaupt kommen konnte. Er hatte seit einigen Tagen den Entschluss gefasst, nun endlich die wirklich nicht besonders schönen Waschbetonplatten aus dem Eingangsbereich zu entfernen. Mitte der Sechziger Jahre gelegt, hatte diese zwar immer gute Dienste geleistet und nur wenige waren über die fünfeinhalb Jahrzehnte überhaupt gebrochen, aber sie sahen einfach nicht mehr schön aus. In Herr Nipps Augen hatten sie auch niemals schön ausgesehen, aber das ist eine ganz andere Geschichte, die Michael Ende dann in einer anderen unendlichen Geschichte erzählt hätte, vielleicht hätte sie auch der Straßenfeger Gigi irgendwann einfach so sauber gefegt, dass die grauen Herren darauf ausgerutscht wären. Entschuldigung, manchmal spielt die Erinnerung uns Streiche und wir kommen von dem ab, was wir eigentlich zu erzählen gehabt hätten. Jedenfalls hatte er angefangen, die schweren Platten aufzunehmen, sobald Natursteinplatten greifbar wurden. (Übrigens auch schön, dass es zwei völlig verschiedene Dinge sind, eine Platte aufzunehmen. Aber solche Doppelbödigkeiten sollen ebenfalls hier eigentlich gar nicht thematisiert werden.) Er hatte diesen ganzen Nachmittag damit verbracht, die sprichwörtlichen Altlasten zu entfernen, hatte jede einzelne Waschbetonplatte (wunderbarer Name für ein so hässliches Teil) 15 Meter weit getragen. Man kennt solche Tätigkeiten, bei denen die Einzelhandlung sinnlos erscheint, wenn man die die gesamte Fläche betrachtet (aber hier sind wir ja schon wieder beim Straßenfeger, der niemals die ganze Straße sieht, sondern nur die nächsten Meter…). Als der Stapel groß genug war, hatte er bei einer Bekannten angerufen, die vor Tagen ernsthaftes Interesse angemeldet hatte. Nur fragen, wann sie die Steinersatzplatten denn wohl abholen würde. Es kam natürlich, wie es immer in solchen Situationen kommt. Alles war etwas verzwickt. Die Dame erzählte ihm, sie hätte die Platten wirklich gerne, aber ihr Mann habe nun mal „Rücken“ und so müsse sie ihren Bruder fragen, ob der wohl helfe und einen Anhänger müsse sie sich auch noch leihen und da sie selber ihr Auto letztes Jahr verkauft habe und nur noch Rad fahre, und zwar E-BIKE, wie sie mit einer ganz besonderen Betonung unterstrich, müsse der Bruder mit seinem Wagen den Anhänger ziehen, was allerdings nicht so einfach sei, da der Wagen eben keine Anhängerkupplung habe und deren Freundin, die ihr sonst den Anhänger leihe trotz der schlimmen Corona-Krise mit ihrem neuen Liebhaber verreist sei und der Bruder aus diesem Grund von einem seiner Freunde den Anhänger habe ausleihen wollen, aber dieser nicht habe ausgeliehen werden können, weil der kein TÜV mehr habe und das Auto mit Anhängerkupplung, dass er bei der Tankstelle sonst immer geliehen habe nun mal schon verliehen sei und das für die gesamte nächste Woche, wobei allerdings noch die Hoffnung bestünde, dass ihr Vater, der allerdings 200 Kilometer entfernt wohne am Wochenende zu besuch kommen würde, der einen sehr alten Benz Diesel mit Anhängerkupplung… Ab diesem Punkt hatte Herr Nipp nicht weiter zugehört. Er hatte nur noch abgewartet, dass die Bekannte einmal eine kurze Pause zum Atmen machte und gesagt, dass er sich um einen anderen Abholer kümmere, der ebenfalls die Steine haben wolle. Darauf hatte die Bekannte eingeschnappt einfach aufgelegt und Herr Nipp vermutete, sie hätte sicherlich den Hörer in die Gabel geschmissen, wenn Telefone heute noch so aussehen würden Wie in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Nun jedenfalls sitzt er da am Tisch und sein Ringfinger zuckt und er kann sich gar nicht erklären, warum.