Wahn

Unten geradezu tumultartige Zustände. Schultergeklopfe ohne ersichtlichen Grund. Es hat doch niemand Geburtstag, denkt er. Beförderungen hat es auch nicht gegeben und sämtliche Babys waren in den letzten Wochen schon geboren worden. Immer wieder werden Zahlen genannt. Zeiten. „Boah, unter vier Stunden und der Chef war vier Sekunden langsamer….“ Klar, es geht um einen Marathon. Respekt, denkt er. Aber eigentlich auch wieder einmal typisch. Das geht wahrscheinlich mit rund vierzig Jahren los, immer dann, wenn ein letztes Aufbäumen vor dem wahren Altern alles ändert. Frauen suchen sich neue Partner, weil sie Freiheit brauchen oder das Gefühl haben, irgendetwas verpasst zu haben. Männer wenden sich jüngeren Frauen zu, wesentlich jüngeren Frauen. Frustrierte machen plötzlich einen Motorradführerschein oder beginnen mit japanischem Trommeln. Und der Rest? Der sieht sich im Spiegel und erkennt, dass das ehemals glatte Gesicht nun zu einem Faltenwurf wird. Das Dekolleté sieht auch nur noch mit Zuhilfenahme von vielen Cremes halbwegs passabel aus, die Brustbehaarung ergraut den Herren der Schöpfung, Körpererschöpfung. Selbst die Arme zeigen Spuren der Alterung und morgens schmerzen die Gelenke. Da hilft also nur eines. Gegen die Krankheit des Alterns bäumen sich hunderttausende mit Sport auf, Training jeden Tag. Da werden Kilometer gelaufen, natürlich unter strikter Beachtung von Trainingszeiten, von Kalorientabellen und natürlich immer im Hinblick auf den nächsten Wettkampf. Sie hoffen auf den ewigen Jungbrunnen Sport. Sie martern sich wie religiöse Fanatiker. Ja, gibs mir. Alles ist ihnen recht und einige lassen sich zur Verwirklichung des sportlichen Traumes plötzlich Asthmamittel verschreiben, damit die Leistung legal gesteigert werden kann. Alles dies ist gut und wichtig, denn das Alter kommt mit Sicherheit, mal früher mal später, aber es schlägt unerbittlich zu. Mit einem Mal, dann wenn die Schmiere zwischen den Knochen aufgebraucht ist, wenn das Hirn in verschiedenen Funktionen versagt. Sie versuchen zu verzögern, mit allen mitteln, nur um drei vier , spätestens zehn Jahre später zu merken, dass sie drei vier oder zehn Jahre älter geworden sind und man das auch sieht. Das immerhin kann auch Herrn Nipp trösten, der ohne sportlichen Ehrgeiz seine Wanderungen macht, der ohne an Wettkämpfe zu denken mit dem Hund durch die Wälder trabt und der ohne schlechtes Gewissen auch weiterhin abends seinen rotwein trinkt.

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