Kino

So leid, so extrem leid war es gewesen, weiterhin diese Nachrichten im Radio zu hören. Er hatte das Gerät mit einiger Wut ausgeschaltet. Wut gegenüber der Menscheit, die nicht lernen wollte, nicht lernen konnte. Wut auch, nein vor allem gegenüber den sogenannten Mächtigen, die nicht bereit waren zusammenzuarbeiten, sondern ihe persönlichen Eitelkeiten, ihre kleinlichen Befindlichkeiten pflegten und andere dafür leiden, sich bekämpfen, sterben ließen. All die Clintons, die Putins und Erdogans, die Merkels und Scheichs und Fürsten und Ministerpräsidenten. All die ignoranten Abgeordneten nicht zu vergessen, die eigentlich vom Volk gewählt, doch offenbar nur sich selbst verpflichtet schienen. Er hatte den Schallplattenspieler angemacht und gute alte Musik aus den späten achtziger Jahren gehört. Abschalten im wahrsten Sinne. Biff Bang pow. Hatte in Erinnerungen geschwelgt. An damals, als sie zu dritt im Auto saßen, einer blauen oder wahlweise roten Ente, manchmal auch in seiner eigenen elfenbeinweißen mit den schwarzen Streifen und schwarzen Fischen drauf. Diese billigen Gefährte, die mit ihrem Rolldach auch noch gleichzeitig Cabrios gewesen waren. Bei denen die Fenster noch hochgeklappt werden mussten, um sie oben zu arretieren, Autos, deren Heizungen eigentlich fast nie funktionierten, die immer irgendwo undicht waren. Damals waren sie oft einfach losgefahren, hatten sich kein Ziel genommen, sondern nur die Idee, neue Sachen zu sehen. Irgendwo, wo es schön war, anzuhalten und zu sehen, zu erleben. Auf das Land, oben auf einem Berg stehen und den Sonnenuntergang mit allen Farbspielen zu beobachten, eine Stunde lang nichts zu sagen, berauscht von den sekündlichen Veränderungen, auf die man sich einlassen konnte. Das beleuchtete Verschieben der Wolkenformationen, all die Dinge darin zu sehen, die schon die holländischen Maler fasziniert hatten. Dann schwiegen sie meistens, wussten um die tiefe Freundschaft, auf die innere Verwandtschaft. Das war großes Kino gewesen, fernab der Zeit, fernab der Zeitläufe und vor allem fernab von der Tagespolitik.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.