Blaue Blume

Der Strahlenkranz dieser blauen Blüte, ein Auge, das ihn vom Wegesrand verschmitzt anlacht und niemals einen Rückzieher zu machen scheint. Als er sie damals 1981 zum ersten Mal auf dem Weg nach Bozen sah. Sie standen im Stau und niemand außer ihm schien sie zu bemerken oder zu kennen. Keiner kannte ihren Namen, auch sein Vater nicht, der doch sonst eigentlich alles kannte oder zumindest so tat. „Wahrscheinlich irgend so eine verwilderte Gartenpflanze. Die gibt es hier eigentlich gar nicht.“ Der mitgefahrene Nachbar in seiner ihm angeborenen Ignoranz gegenüber der dezenten Schönheit der Natur sowieso wusste gar nichts. „Kein Schimmer.“ Der konnte ruhig weiter seine Frauenschuhe fotografieren, also jene großblütigen Orchideen, die im Innerfeldtal zu finden waren. Das war so populärer Amateurfotografenvolkssport, dass es fast schon an Müll grenzte. Auch wenn er selbst damals wie heute diese Pflanzen jedesmal liebte und liebt, wenn er sie sah und sieht. Aber ein anderer Bewohner ihrer Pension kannte diese ihm fast mystisch erscheinende Blume, die in Deutschland nach 1945 fast ausgerottet worden war, nicht aus Bosheit, sondern aus Liebe zum Ersatzkaffee, der aus ihren Wurzeln recht einfach hergestellt werden kann. Inzwischen findet sie entlang der Autobahnen ihren Weg zurück bis in den Norden. Niemand wird in dieser vom Überfluss geprägten Gesellschaft auch nur eine Pflanze ausgraben, um die Wurzeln in der geschmiedeten Pfanne zu rösten. Dieser alte weise Mann, mit dem er später noch so manche Entdeckung in den umliegenden Wiesen gemacht hatte, einen solchen hatte er erst zehn Jahre später in einem seiner Professoren wiedergefunden, jener erste Weise nannte sie einfach Wegwarte, weil sie immer auf den Wanderer am Weg warte, der erzählte mit wahrhaft blumigen Worten deren Geschichte, ihre Verwendung als Kaffee und Armeleutegemüse. Der hatte ihm übrigens auch von den Wunderdingen der wilden, aber gelbblütigen Rauke erzählt, die erst Jahre später unter dem Namen Rucola ihren Siegeszug in deutschen Küchen antrat. Vorher hatte sie jeder Kleingärtner als Unkraut aus dem Garten gerissen.

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