Untiefen – ein kurzes Theaterstück in einem Aufzug

Untiefen
Allgemeine Regieanweisung: Auf der Bühne stehen zwei Sitzgelegenheiten, etwa ein Eimer und eine Holzkiste. Ansonsten ist die Bühne leer. Auf der Rückwand flimmern Bilder aus Filmen, in denen die besondere Schönheit von Landschaften herausgestellt wird. Dies können etwa besonders kitschige Heimatfilmchen sein. Zunächst schauen sie nur dorthin. Dann wendet sich die erste Figur zum Publikum. Im weiteren Verlauf schauen beide immer wieder dorthin, lassen sich gefangen nehmen. Manchmal sprechen sie, oft schweigen sie einfach nur.

Erster: „Wenn du mich fragst, was zu meinem Heimatgefühl gehört, so muss ich sagen – heute jedenfalls anders als vielleicht noch gestern – der stete Wandel und gleichzeitig das Bewusstsein des Gewesenen. Das Wissen um eine gewisse Sicherheit sicher auch. Guck dir alles an, es geht den Bach herunter. Oder kannst du noch an irgendetwas glauben?“

Zweiter: „Da würde ich auch gerne wohnen.“

Erster: „Die Vergangenheit natürlich, damals mit und in der Familie, als die Eltern noch lebten, als wir uns noch in die Augen schauen konnten. Sowieso die Vergangenheit, alles was damals gewesen ist. Früher war alles, alles besser.“

Zweiter: „Hast du dir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie schön es wäre, woanders zu wohnen?“

Erster: „All die Kleinigkeiten, die sich damals ihren Weg in das Herz gesucht haben. In mein Herz. Die liebenswerten Schrulligkeiten der Leute, mit denen ich gelebt habe. Das hat geprägt. Die Art, wie man sich unterhalten konnte, weil man ahnte, wie das Gegenüber dachte. Wir hatten eine gemeinsame Sprache, die sich oft selber genug war. Da waren es Worte, die es nur in unserer Familie gab, nur bei uns in bestimmten Zusammenhängen Sinn hatten. Der kleine Abhang hinter dem Haus war unser Üferchen.“

Zweiter: „Ich würde jeden Monat an einem anderen Ort leben, wenn ich das Geld dazu hätte. Würde Menschen kennenlernen. Aber so…“

Erster: „Die Zeit des Erwachsenwerdens ebenso wie die Kindheit. Das hat doch geprägt. Alles hat mir einen Stempel aufgedrückt. Die Landschaft, diese Besonderheiten in der Verwandtschaft, all die Fallstricke, über die niemand stolpern durfte. Das konsequente Nichtaussprechen, die Blicke, die mehr sagten, als ein Buch hätte auch nur anreißen können.“

Zweiter: „Da – dieser Strand zum Beispiel, es ist doch schade, dass ich noch nie da war. Endlich einmal könnte ich den Sand zwischen den Zehen spüren, und die Sonne würde meine Haut leicht bräunen. In aller Ruhe würde ich einen Cocktail schlürfen oder den Duft eines frisch gebrühten Kaffee als leichtes Kitzeln in der Nase spüren.“
– er schweigt genießerisch –
Dieser Himmel.
– er breitet zufrieden die Arme aus, nimmt die hinter den Kopf –
Das Rauschen der Wellen!
– wendet sich mit großer Geste um –
Schau dir diese Menschen an.“

Erster: „Damals als ich mich das erste Mal verliebt habe, so richtig verliebt, so tief, dass es schmerzte, so dass alles andere zu verschwinden begann. So sehr, dass ich ständig dieses seltsame Gefühl zwischen Glück und Schlechtsein im Körper fühlte, im Kopf, in allen Gliedern, im Bauch. Dieses Gefühl, das das Herz herausreißen und den Magen umstülpen konnte. So fühlte ich mich damals, wusste nicht, wie damit umzugehen wäre. Diese junge Frau, der ich nicht zugeben wollte, nicht zugeben konnte, wie sehr sie mich berührt hatte. Ihre Augen, ihr Geruch, die einfachen Wörter, die mir Wahrheiten kündeten. Sie hatte mir eine neue Welt geöffnet, ohne dies auch nur ansatzweise zu ahnen. Wie sie sich bewegte und plötzlich anfangen konnte zu lachen, ohne dass ich verstand, warum. Die im nächsten Augenblick schmollen konnte und mich in Verzweiflung stürzte. Die mich nicht ernst nahm und mit jedem Blick Dynamitstangen zündete. Der ich nahe war wie kaum einer anderen. Später nicht, vorher nicht. Dieses Gefühl gehört dazu. Oder war es letztlich nur ein Gefühl des Verlangens, des Im-Andern-Seins – und ich meine das nicht körperlich. Denn jede meiner Lieben ist eine eigene gewesen, nicht vergleichbar, niemals aber erstmalig.“

Zweiter: „Wie verschwenderisch die Farben dort sind, als würde alles nur an diesem Ort zusammengezogen werden. Das muss so etwas wie ein paradiesisches Leben sein.“

Erster: „All die Dinge, Dinge neben der Landschaft, neben den Orten, in denen ich gelebt habe. Sie sind Teil meiner inneren Heimat. Ich kann es nicht genau fassen, kann diesen flüchtigen Eindruck nicht halten, weiß nicht, was diese Sehnsucht auslöst, sobald ich daran denke. Alles kreist dann und das Zentrum scheint irgendwie außerhalb zu liegen, auch wenn es paradox erscheint. Eine physikalische Figur würde ins Trudeln geraten, unweigerlich, der Mensch scheint diesen Zustand geradezu zu brauchen. Nicht selber im Mittelpunkt stehen, sondern immer auf der Suche nach jenem. Gib mir einen Fixpunkt außerhalb und ich hebe die Erde aus den Angeln. Heißt es nicht so?“

Zweiter: „Man brauchte nur zuzugreifen.“

Erster: „Ja, auch die Urlaube, die jährlichen Aufenthalte in den Bergen, immer mit der ganzen Familie, mit einigen Freunden auch und anderen, die einfach dazu gehörten. Die Wanderungen dort, das gemeinsame Betrachten und Genießen einerseits, andererseits jene Anstrengungen, die sein mussten, um ein Ziel zu erreichen. Auch die Schmerzen in den Muskeln und Knochen, wenn man es mal wieder übertrieben hatte. Ein Gefühl von Gemeinschaft, wie ein Stamm von ursprünglichen Menschen und doch jeder sehr eigen. Jeder verantwortet, jeder in einer Verantwortlichkeit gegenüber dem Anderen.“

Zweiter: „Jeden Tag am Strand liegen, den Drink immer griffbereit, entspannen und einfach mal den Herrn da oben einen guten Mann sein lassen. Wenn es langweilig wird, zieht man einfach weiter oder ein Buch. Es gibt so viele Orte, die schön sind, die ich haben möchte.“

– Der erste Mann wendet sich der Rückwand zu –

Erster: „Da hätte ich keine Verbindungen zu den Menschen, weil sie nicht gewachsen sind. Verbindungen – Synapsen unserer Zivilisation, auch sie müssen immer neu entstehen, man muss ihnen den Raum geben zu entstehen. Auch wenn ich hier keine Verbindungen habe, über die Zeit hin können sie vielleicht wachsen, wuchern, alles andere miteinander verknüpfen und gleichzeitig erweitern. Unsere Beziehungen sind das Myzel der Menschheit, der geistige Versorger. Wenn ich daran arbeite, mir Mühe gebe. Wenn zugelassen wird, dass die Anderen ihre Anliegen einbringen können, ohne Vorurteile oder Vorbehalte. „

Zweiter: – wendet sich einem Zuschauer zu –

„Diese leuchtenden Augen, ein Versprechen liegt darin.“

Erster: „In den Bergen gehören die fremden Gesichter zu meinen Gedächtnis, die wenigen Gespräche, die ich dort geführt habe, die sich aber eingebrannt haben. Diese knappen Worte, mit ebensolcher Weisheit, einfach aber tief. Das mag sich kitschig anhören, ja, ist es auch vielleicht. Zumindest solange man eine Verallgemeinerung vornimmt. Natürlich ist das eine Überhöhung, eine Beschönigung, aber dieses Gefühl stellt sich einfach ein. Wie gut ist es, wenn das Gefühl den Menschen überschwemmen kann. Vielleicht müssen wir gerade das wiederentdecken. Eine neue Gefühlskultur.“

Zweiter: „Irgendwann möchte ich auch mal an die walisische Küste, da ist es schön – so einfach, so ländlich, so rau.“

Erster: „Auch wenn ich die Häuser vielleicht nie betreten werde, der Gedanke, wie es sein könnte, gehört einfach dazu. Die Geschichte eines Zimmers vielleicht, in dem in der Ecke oben über dem Esstisch ein Kreuz hängt mit irgendwelchen Kräutern dahinter, auch wenn niemand mehr daran glaubt, einfach nur die Tradition zu pflegen. Was mag in einem Kopf vorgehen, der solcherart macht. Nicht eine Frage, das ist ein Ausruf; Sieh her, ich weiß, woher ich komme. Ohne die Vergangenheit blende ich mich zum Niemand aus. Es geht nicht darum, woran dieser Mensch genau glaubt, sondern darum, zu wissen, dass dieser Gaube eine Grundlage des Handelns ist. So könnte ja sogar ein Atheist dieses Wissen zur Grundlage des Lebens machen. Nicht der Gott zählt, sondern die Botschaft. Und dieses Prinzip an sich kann man doch erkennen.“

Zweiter: „Die Höhlen im Tal der Dordogne möchte ich gerne sehen, wäre gerne dabei gewesen, als die ersten Höhlenmalereien entdeckt wurden. Das muss doch toll gewesen sein. Wie sich diese Konturen und Flächen plötzlich aus der Dunkelheit herausschälen und einen Zusammenhang ergeben. Oder das Übersetzen des Gilgamesch-Epos, in dem es um Freundschaft, Liebe, Leben und Tod geht. Um die Frage, die uns alle umtreibt. Überhaupt, überall kann man doch Geschichte finden.“

Erster: „Die Natur vor allem, all die Pflanzen und Tiere, die geologischen Gegebenheiten und wie alles zusammenhängt und plötzlich entdeckst du, dass du mittendrin steckst. Da können hunderttausende von Formen entwickelt werden, und wenn man genau hinschaut, erkennst du die Verwandtschaften, dass alles einen gemeinsamen Ursprung hat. Keinem Menschen könnte das entspringen, keiner könnte das frei erfinden, denn die Wege der Formen erschließen sich nicht in der Vereinfachung einer Zeichnung oder Fotografie, sondern durch die räumliche Wesenheit ergibt sich von jeder Seite eine neue Sensation. Niemand fotografiert Bäume von oben. Baum für Baum die Struktur zu ergründen. Alles wird nur aus der menschlichen Perspektive wahrgenommen. Wann kann er darüber hinausgehen? Wir können nicht allumfassend denken, deshalb auch nicht sehen, und unsere Formerfindungen sind doch letztlich nichts anderes als eine Stümperei. Nur wer dreidimensional denkt, kann einen Teil dessen erhaschen, was die Natur oder Schöpfung oder wie immer es genannt wird, schaffen kann, jeden Tag. Es ergeben sich Ausgewogenheiten dann, die wir als solche niemals verstehen könnten. Sie haben eine eigene Ordnung, Symmetriesysteme, die jenseits unserer Auffassung liegen. Und da gibt es jene, denen dieses reicht, die auch nicht in Ansätzen das Gespür dafür haben, dass wir anfangen müssen, über das Gegebene im Reflektieren hinauszugehen.“

Der zweite Mann steht auf, macht Freiübungen, stöhnt.

Zweiter: „Aaaah, daran muss man hängen, an einer Idee, an der Idee der Beklemmung, wenn man nicht heraus kann. Man hängt daran und erstickt, ganz langsam, ohne es zu merken, weil uns die Luft ebenso ganz langsam ausgeht. Wie der berühmte Frosch im Topf, der nicht herausspringt, wenn man das Wasser langsam erhitzt. Aber Stimmt das eigentlich? Da ist nicht dieser Ruck, der das Genick bricht. KNACK! Das will ich nicht. Will nicht ersticken, mir nicht das Genick brechen lassen. Will mich jederzeit von Moment zu Moment losmachen können, will kein ganzes Haus hinter mir herumziehen, in mir aufbauen, das mich unbeweglich macht. Ich ziehe im richtigen Moment das Messer, schneide den Strick durch, nicht den Hals, da fühl ich mich wie Alexander der Große mit dem gordischen Knoten. Wär doch gelacht, wenn man sich immer in dieses Garnknäuel der Unzulänglichkeit verstricken müsste. Ich ziehe heraus aus deiner Realität und kann sie von außen betrachten.“

– sie sitzen, sie schweigen, sie stehen auf, sie umrunden sich, ohne mit ihren Blicken voneinander zu lassen. Angespannt –

Zweiter: „Es wäre doch schön, könnte man sich von seiner eigenen Vergangenheit befreien – in regelmäßigen Abständen, könnte einfach löschen, was da gewesen ist. Ich will absolute Freiheit von der Geschichte. Ich will nicht das Intellektuelle, ich will einfach sein. AAHH!“

– Der erste Mann schaut dem zweiten ins Gesicht, bleibt stehen. Stur, schweigt. Schweigen. Duell der Blicke. –

Erster: – räuspert sich – „Die Beobachtungen der Steine, des fließenden Wassers, der Flammen, die auf den Hölzern im Ofen spielen. Wenn du mich fragst, was Heimat ist, kann ich dir keine genaue Antwort mehr geben. Da geht es mir wie den Dichtern vor hundert Jahren, die erkannten, dass die Sprache keine Antworten hatte. Vielleicht sollte ich auch nur noch rhythmische Laute von mir geben, Einzelsilben ohne Inhalt. Lautgedichte, Tiersprache, alles dem Wahnwitz überlassend.“

Zweiter: „Ich möchte auch mal im Himalaya wandern, so richtig mit Sauerstoffflasche, aussehen wie ein Mondtourist, aber gut geschützt vor der Kälte und nicht dort, wo es gefährlich wird. Wenn schon auf den Mount Everest, dann mit dem Hubschrauber hochfliegen. Abgesetzt wie jemand auf dem Mars. Niemand braucht die Anstrengung, diese Selbstaufgabe. Hieß es nicht damals in dem Lied, wir sind verschiedene Wege gegangen und trotzdem beide hier angekommen?
Warum sollte ich also so vorgehen, wie diese Fanatiker der Grenzerfahrung. Das Erlebnis, auf dem höchsten Berg zu stehen, auf der großen Pyramide, wo auch immer ich will, ohne tätig zu werden. Wozu brauchte ich diesen sogenannten Rausch der Tätigkeit, jenen Flow, der mich in einen anderen Zustand versetzt? Das Erleben reicht doch. Alles andere ist zu gefährlich, das kannst du mir glauben. Guck dir diese Sportler, die verrückten Musiker und Künstler doch an, ausgetreten aus der Welt und trotzdem gefangen in ihrem Handeln und Denken. Guck all die sogenannten Kreativen, die aufgehen in ihren Prozessen, Zeit und Welt vergessen, nur um sich zu finden und gleichzeitig zu verlieren, das ist schädlich. Schwere Traumata, auch wenn sie es nicht zugeben wollen und werden. Sie bombardieren mit ihren Werken ihre eigene Welt und merken es nicht einmal.“

Erster: „Von Tag zu Tag wird der Begriff weniger Begriff, weil die Griffigkeit fehlt. Genauso wenig könnte ich dir sagen, was Liebe ist, was Zuneigung oder Intelligenz, ich kann dir einzelne Aspekte umschreiben, mehr nicht. Ein Zustand von höchster Freude und doch tiefster und einsamster Sehnsucht beschreibt ein Gefühl, schwermütiger vielleicht noch als diejenige der alten Romantiker. Alles scheint unterschiedlichster Natur und trotzdem tauchen bestimmte Erklärungsmuster wieder auf. Vielleicht ist es mehr ein Erfahrungsmuster. Bestimmte Erlebnisse verknüpfen sich zu einem Zustand des Zusammenseins, der Einheit, die nicht hinterfragt werden muss.“

Zweiter: „Alle wesentliche Kapazitäten sind aktiv, meinst du das?“

Erster: „Wenn ich die Kontrolle über mich verlieren würde, dann wäre es falsch beschrieben.“

Zweiter: „Lass uns uns lieber weg denken. In die Fjorde der Nordländer, dort, wo wir uns mythische Geschehnisse und Wesenheiten denken können. Überlassen wir es doch den anderen, sich Gedanken darüber zu machen, wie es zu erklären ist. Jede Erklärung erzeugt doch letztlich das Unbehagen, dass sich gerade nun neue Fragen aufgetan haben. Hast du nie das Kinderspiel „Warum“ gespielt? Egal wie die Antwort lautet, sie mit einem vorangestellten Warum zu echoen, kann nur richtig sein. Und irgendwann kommt der Befragte an den Punkt, an dem er nicht mehr weiter weiß.
Warum machst du dir Gedanken über diese Welt?“

Erster: „Weil ist glaube, dass es wichtig für mein Leben ist, etwas tieferes über die Welt zu wissen, erst dann kann ich wirklich erfüllt leben.“

Zweiter: „Warum glaubst du, nur dann erfüllt leben zu können?“

Erster: „Es ist wichtig, alles durchdrungen zu haben, um zu einem Menschen werden zu können, sonst wäre ich doch wie jener, der da festgebunden an den Küchenhocker nur das als wahr wahrnimmt, was er fühlen kann.“

Zweiter: „Warum sollte nicht das wahr sein?“

Erster: „Es muss weiteres geben, das…was soll das? Ich bin nicht dein verdammtes Versuchskaninchen…“

Zweiter: „Dir geht es wie all den anderen auch, sie glauben, sie könnten auf eine höhere Ebene gelangen, und sind sie dort angekommen, müssen sie feststellen, dass die immer noch am Sockel des Berges kleben. Die Philosphen, die glauben, sie könnten, müssten gar die Welt erklären, die Physiker, die sie sogar vermessen möchten. Vermessenheit beides.“

Erster: „Mit jedem Tag, jedem Nachdenken werden die Wörter abstrakter, auch wenn sie uns nicht im Mund zerfallen wie modrige Pilze. Mit Anstrengung und steter Reflexion können wir ein Wort zu einem Begriff füllen. Wie eine Stopfgans, deren Schnabelspitze geschnitten wurde, deren Magen mit Mais gefüllt wird, damit sich eine Fettleber bildet, die sich hervorragend zu Pastete verarbeiten lässt. Die gemachten Begriffe haben Konjunktur, sie überschwemmen die Welt, nur um später die Meere unserer Sprache mit Plastikmüll zu verstopfen.“

Zweiter: „Ich will einfach nur Freiheit, bin aber kein Fan Schillers oder Gaucks, haha, die haben es nicht verstanden, die wollen die Freiheit in ein Korsett zwingen, wollen sie beschneiden, wie einen jungen Baum, der wachsen will, ich will Freiheit von allem. Auch vom Beschnitt.
Seit kurzem hatt´ ich meinen Leib verlassen,
als sie durch dieses Mauertor mich schickte
nach einem Schatten aus dem Judasring,
dem untersten und dunkelsten von allen;
es ist der Ort der größten Himmelsferne.
Ich kenn den Weg genau, beruhige dich.“ (Dante; Göttliche Komödie; 9. Gesang)

Erster: „Wir können die Missverständnisse erst durch das Sprechen, das Definieren klären oder überhaupt entdecken, dass es welche gibt. Wenn ich aber etwas nicht leisten will, dann behaupte ich, es nicht zu können. Sehen die anderen erst, dass ich nicht kann oder auch können will, bleiben ihnen zwei Alternativen, sie können helfen und damit mitbestimmen oder sie lassen es sein, haben damit allerdings ebenso eine Form der Mitbestimmung aufgenommen.

Zweiter: „Über Landstraßen mit einem wunderschönen Cabriolet sausen, den Wind in den Haaren, neben mir eine schöne Frau, die mich anlächelt. Warum sollte ich mir anderes wünschen. Es reicht mir zu erleben, wie das Leben glatt geht. Lieber ohne Schwierigkeit leben, als es reflektieren zu müssen. Also hör mir auf mit deiner Heimat.
Sieh dort! Die Sonne leuchtet mir ins Antlitz,
und Wiesen dort und Blumen und Gehölz,
was alles eine reiche Erde schenkt.
Im Grünen sitzend oder wandelnd harrst du,
der Frau mit ihren frohen schönen Augen,
die weinend mich zu dir gerufen hat.
Erwarte Lehre nicht noch Wink von mir,
denn frei, gesund und aufrecht ist dein Wille,
Hey, hör zu, das ist jetzt wirklich wichtig, was Dante dazu sagte!
Erwarte Lehre nicht noch Wink von mir,
denn frei, gesund und aufrecht ist dein Wille,
und Irrtum wäre es, jetzt ihn noch zu zügeln.
Du sei dein eigner Kaiser und dein Papst!“ (Dante; Göttliche Komödie; 27. Gesang)

Erster: „Du könntest dich oder wahlweise auch mal mich fragen, was Liebe oder Kunst ist, was mich umtreibt, so lange und so oft über Heimat nachzudenken. Wahrscheinlich wüsste ich tatsächlich keine auch nur ansatzweise befriedigende Antwort. Wozu auch, du würdest mit deinen einfachen Lebenswünschen auch die Antwort nicht abwarten wollen. Du würdest es als Anmaßung empfinden, wenn dir jemand etwas über etwas sagen oder gar erklären würde.“

Zweiter: „Ich halte mich an die Dinge, die klar und einleuchtend sind. Blau ist blau, rot ist rot, gelb ist gelb, ob türkis nun blau oder grün ist, darüber mag man sich streiten, es bleibt türkis. Ob es bei Minustemperaturen kalt ist? Ob das Innere der Sonne heiß ist? Was interessiert mich aber, wo das Grauen anfängt.
Wir gingen weiter, andre Menschen lagen
vom rauhen Froste eingebettet da;
rücklings gestreckt, nicht mehr gebeugt nach unten.
Die Träne sperrt der Träne hier den Weg.
Im Aug erstarrend staut das Weinen sich
und drückt nach innen und vermehrt die Angst.
Die ersten Tränen werden hart, und wie
ein gläsernes Visier verbauen sie
unter den Brau´n die ganze Augenhöhle. -“ (Dante, Göttliche Komödie; 33.Gesang)

Erster: „Wenn die Lexika behaupten, sie wüssten eine Erläuterung, so mag das ja stimmen, die Macher glauben tatsächlich daran. Ich aber füge die Einzelheiten zusammen, muss feststellen, dass sie nicht passen, dass die Puzzleteile keine funktionierenden Verbindungen haben, und gerade das macht das Nachdenken eben spannend. Wir erzeugen uns schließlich unsere eigene Realität. Nichts ist real, wenn wir es nicht als solches denken.“
Zweiter: „Wann wird eine Farbe schwarz, meinst du? Warum ist weiß überhaupt möglich, wenn es aus verschiedenen farbigen Lichtern besteht? Wenn wir die Realität nicht erfinden, dann gibt es sie nicht, so einfach ist das.“

Erster. „Durchforste also das Hirn nach den Dingen, die sich bedingen, nach Erinnerungen, die zu Erklärungen führen können. Du musst greifen, begreifen, bei den Dingen, die greifbar sind, zugreifen. Also gehe ich dorthin zurück, wo ich die Heimat vermute, streife du ruhig in die Welt, du wirst andere Erfahrungen machen und vielleicht weise zurückkommen. Du wirst erklären dort, wo ich nichts finden kann, da ich nicht weiß. Es ist keine Koketterie, zu sagen, dass der eigene Begriffshorizont zu eng gefasst ist. Dass vielleicht zu wenig gelesen wurde. Ich kann nur das Falsche finden, dort, wo ich Klarheit vermutete, ich kann mich nur in Teilen annähern.“

Zweiter: „Ich streite jede Verantwortlichkeit ab, nur so entkomme ich den Fallstricken und Untiefen deines Denkens.“

– Beide setzen sich vor die Rückwand, schauen den Film, der dort läuft. Die Bilder kippen ins Blutrot eines Lavastroms. Sie umarmen sich freundschaftlich. –

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.