Kerzenlicht

Vor sich hat er eine Tasse mit Kaffee stehen. Nein, er zuckert nicht nach, niemals würde er den Kaffee zuckern, das schmeckt einfach nicht, wohl gibt er einen Schuss Milch dazu. Das mildert den Geschmack etwas, kühlt das heiße Getränk aus der Bialettiherdmaschine aber vor allem auf eine sofort trinkbare Temperatur ab. Keine Kondensmilch, dazu nimmt er die so in der Familie bezeichnete Lange Milch, Frischmilch, die noch genügend Geschmack enthält. Auf dem Tellerchen liegt ein Stück Butterkuchen, das er sich mittags beim Bäcker besorgt hat. Ein Stück nur, hätte er mehr gekauft, würde er auch mehr essen. Er weiß das genau. Die Kerze hat er angezündet, die wirft eine warmes Licht in den Raum, der ausnahmsweise mal richtig muckelig warm ist. Es war ihm kalt gewesen und er hatte den Kaminofen mit der gläsernen Sichtscheibe ordentlich „gestocht“. Bestes Buchen- und Eichenholz gemischt mit einem Scheit Erle. Die Flammen flackern und verstärken an diesem tristen Wolkennachmittag eine heimelige Gemütlichkeit allein. Ja, allein sitzt er da, hört einige Klänge aus Mozarts Requiem, das ihn immer so glücklich macht. Eigentlich unglaublich, dass so traurige Musik glücklich machen kann. Aber so ist es bei manchen Bands, manchen Komponisten nun einmal. Erklärbar vielleicht noch mit Erinnerungen oder der Sozialisierung. Die Musik füllt den gesamten Raum, nein, eigentlich sogar die Wohnung aus. Ganz in die Betrachtung der Flammen versunken, sozusagen weltvergessen sitzt er da, hat ein Stückchen Kuchen auf der Gabel und völlig vergessen, es in den Mund zu stecken, wozu auch, wenn man vom Licht vereinnahmt ist. Tatsächlich kann immer wieder beobachtet werden, wie das Licht das Verhalten von Menschen zu steuern vermag. Jedes Mal, wenn er früh morgens zum Horizont blickt, dorthin, wo irgendwann abzusehen ist, dass der Morgen aufziehen wird. Jedes Mal, wenn er abends aus einem hochgelegenen Fenster über die Häuser seiner kleinen Stadt blickt und das Licht der untergehenden Sonne betrachtet. Jedes Mal, wenn er in den Alpen durch den bläulichgrauen Nebel wandert. Licht verändert etwas in ihm. Er weiß in diesem Moment wahrscheinlich nicht einmal, was er denn denkt, völlig aus der Zeit gerissen schiene er einem neutralen Beobachter. Aber der ist nun einmal nicht anwesend. Alles andere ist ausgeblendet. Die ausnahmsweise vorhandene Ordnung auch.
In diesem Moment klingelt es an der Tür und im Erschrecken wird es schwierig, das Stück Kuchen zu balancieren. Aus der wohltuenden Leere gerissen, schrickt er auf. Wird sich der Situation bewusst, blickt um sich, steht auf. Der magische Moment ist vergangen. Der Kuchen liegt auf dem Boden, natürlich mit der Oberseite zuunters.

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