Wo ist das Kind? – Teil 2

Die eigentliche Gesichte aber bestand darin, dass nach Ankunft alle anderen nach draußen gestürzt waren, um die Unterkunft in Augenschein zu nehmen. Nur er selbst war im Auto geblieben, sitzen gelassen worden. Ohne Chance, die Türen zu öffnen, er war einfach zu klein.

Gefühlt den ganzen Tag, tatsächlich aber über eine Stunde, hatte niemand bemerkt, dass der Kleinste fehlte. Wohl erst die Nachfrage seiner älteren Schwester habe nach hektischer Suche zutage gebracht, wo er sich aufhielt. Vielleicht in äußerlich stoischer Ruhe, wahrscheinlich allerdings psychisch ruiniert und mit Tränen überströmt. Selbst konnte er sich heute noch an jene Verzweiflung erinnern, die er empfunden hatte. Und daran, dass in diesem Urlaub Sandburgen gebaut und säckeweise Erbsen gekauft und gedöppt wurden.

Nun, weit mehr als vierzig Jahre später, sollte sich Ähnliches ereignen. Er hatte vor einiger Zeit mit seinem Mitwanderer eine kleine und vor allem junge Familie überholt. Mutter und Kind, Vater mit Kinderwagen, schlafender Nachwuchs. Beim Auffüllen der Getränkeflaschen am Holzbrunnen im Fischleintal auf halbem Weg zur Talschlusshütte, hatte man sich flüchtig gegrüßt, freundlich aber belanglos. Jeder war schnell wieder seines Weges gegangen.
Irgendwann kam die Familie, da die beiden gerade Rast machten, wieder vorbeigezogen. Mutter mit Kind an der Hand, Vater mit einigem Anstand hinterher trottend. Die Mutter wartete in Sichtweite auf ihren Mann. Einige Meter gingen sie zufrieden zusammen weiter. Plötzlich ein Schrei, der die Ruhe des Tals in Sekundenbruchteilen zertrümmerte. „Wo ist der Wagen!!!“ Der Vater zuckte die Schultern. Das Gesicht in wenigen Momenten kreidebleich. Mit diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass eines der Kinder fehlt. Er hatte wohl beim Austreten im Gebüsch den Wagen einfach stehen lassen. Beschämt grinsend sah man ihn nun schleunigst zurückeilen. Schon lächelte die Frau wieder, als sei sie daran gewöhnt, solche Dinge zu erleben. Nur dass im Gegensatz zu Herrn Nipp damals dieses Kind alles verschlafen hatte.

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