Dem Leben ins Gesicht geschrieben

In einem Essay hört er im Radio, dass seine Heroen mal so richtig wunderbar zerlegt werden. Nein, eigentlich nicht sie, sondern die Bilder, die wir haben, sondern diejenigen, welche aus diesen Künstlern Übermenschen gemacht haben, indem sie in Todesnähe erst deren Qualitäten erkannten und deren Taten und Werke in den Himmel lobten. In Todesnähe wird offenbar jeder Satz, den man von sich gibt, zu einem Offenbarungseid. Warum nehmen wir Künstler erst dann wahr, wenn es ihnen schlecht geht? Warum dann, wenn wir das Ringen mit der Existenz erkennen oder zu erkennen glauben? Schmälert es die Kunst an sich, wenn es Künstlern gut geht? Herr Nipp denkt über die bildenden, die schreibenden, die singenden, die aufführenden Künstler nach. Den krebskranken Theaterzertrümmerer Schlingensief, Herrndorf mit Hirntumor, den wahnsinnigen van Gogh, der zur angeblich zur Selbstverstümmelung neigte, den an seiner Kindheit zerbrochenen Jackson, den tauben Beethoven, all die am Krieg leidenden Expressionisten oder diejenigen, die darin umgekommen sind, den zu früh verstorbenen Mozart, den am Leben an sich leidenden Giacometti und so weiter und so fort. Die Liste ist wahrscheinlich unendlich. Ist es wirklich so, dass erst mit dem Leid, der Tragik ein Künstler wirklich interessant wird? Monroe, Elvis, Cobain… Die Liste ist unendlich, der Begriff „Club 27“ macht immer dann die Runde, wenn ein junger Künstler, meist Musiker,  mehr oder weniger willentlich, manchmal auch versehentlich den Löffel abgibt, weil er beispielsweise zu viel auf den Löffel nimmt.

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Kürzlich hatte er bei einer Lesung gehört, dass eine Schriftstellerin von sich gab, sie erlebe glücklicherweise nicht so viel wie ihre Figuren, sie erfinde einfach. Dieses Wort zieht in ihm seine Bahnen.

Nun versteht er es. Da weiß Herr Nipp, dass es eben auch die anderen Fälle gibt. Künstler, die ihr Leben genossen haben oder genießen. Die sich darüber lustig machen, was andere über sie denken oder denen es einfach mal gleichgültig ist. Wahrscheinlich dienen sie zwar nicht so sehr als Vorhaltebeispiele, sie begleiten unser Leben um so mehr. Grinsen uns unverschämt an, mal feixend, mal einfach unverblümt – und später einmal werden sie im Angesicht des Todes, na klar, zu Überlebenskünstlern erklärt, die sich ein ganzes Leben lang im Angesicht der Krankheit, abgemüht hätten, dieses Schicksal als Angesicht des blühenden Lebens vergessen zu machen…

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