Waschmaschinenreste

„Kennen Sie das auch?“, beginnt er mit dieser offenen rhetorischen Frage das Gespräch mit einem ihm völlig Fremden, der sich zufälligerweise gerade neben ihm auf der Bank der Haltestelle befindet. Er erwartet keine Antwort, setzt eine Kunstpause, um irgendwann zu erzählen, was ihn so beschäftigt. Nein, es soll kein Gespräch im klassischen Sinne werden, nur ein Monolog mit Zuhörer, in dem er endlich zu Wort bringen will, in Wörter fassen will, was ihn am Morgen so sehr aufgeregt hat, dass sein Blut in Wallung geriet. Statt entspannt nach Hause gehen zu können, war sein Blutdruck ins gar Unermessliche gestiegen, rotwangig durch die Stadt laufend, um seinen Frust abzubauen, konnte er keinen Halt finden. „Wenn man zum Zahnarzt geht, dann weiß man doch, was einen erwartet, erst wartet man unglaublich lang im Wartezimmer, blättert oder liest in irgendwelchen mehr oder weniger anspruchsvollen Zeitschriften, die oftmals auch die Interessenschwerpunkte des behandelnden Arztes widerspiegeln. Segeln oder Jagd. Klassische Autos vielleicht und natürlich irgendwelche medizinisch halbwissenschaftlichen Magazine.  Die schon von hunderten mehr oder weniger hygienisch lebenden Menschen ebenfalls in den Händen gehalten wurden. Man wartet bei Wartezimmermusik, weil mal wieder ein ganz ganz dringender Notfall eines Privatpatienten behandelt werden muss, der nicht vorauszusehen war. Die Wartezimmermusik ist meist etwas ruhig, wahrscheinlich aber eine gute Mischung von aktuellen Songs und Oldies, nichts, das in den Ohren schmerzt oder gar Unruhe erzeugt, sondern eher gute Laune verbreitet. Ist man dann endlich im Behandlungsraum angekommen, gar der Arzt schon erschienen, um nach anderthalbstündigem Warten auch tatsächlich mit der Behandlung zu beginnen, wird zur weiteren noch stärkeren Beruhigung mit noch seichterer Musik das Ohr umspült. Eine Musik, die wirkt, als hätten Folkmusiker, Worldmusiker, Schlagerstars und Traumschiffkomponisten ihre durchgeschwitzten farbigen T-Shirts bei 90 Grad zusammen gewaschen, weichgespült und die Suppe, die unten herauskommt, sei nun akustisch aufbereitet worden. Dabei ist Enya wahrscheinlich noch das erträglichste Element. Man weiß, welche Schmerzen auf einen zukommen müssen, wenn Mengen dieses Esoterikbreis kübelweise über dir ausgeleert werden. Dann ist es auch gar nicht mehr so schlimm. Das Problem ist, dass eine Konditionierung stattfindet, sobald nur einige dieser Klänge irgendwo auftauchen, sei es im Aufzug, in einem Gangway oder wo auch immer. Die Muskeln verspannen sich, weil der Hörer schon weiß, gleich wird es zu spontanen Schmerzen kommen. Der Bohrer, obwohl nicht anwesend, wird im Unterbewusstsein hinzugefügt, eine fast traumatische Situation.  Man möchte sofort weglaufen.

Schlimm aber war es heute Morgen. Wirklich. Da lag ich im Ruheraum der Sauna und ein Pärchen kam herein, stellte seine Mikromusikanlage auf und tatsächlich drang dieser Musikmüll dudelnd an meine Ohren. Aus war es mit der Ruhe, ich bin genervt geflohen. Kein zweiter Gang.“

In der Zwischenzeit war sein Zuhörer gegangen, in den nächstbesten Bus gestiegen, konnte er doch das Geplapper nicht ertragen.

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