Zumindest haltbar

Völlig entsetzt schaut das Gegenüber ihn an. Sie hat eingehend die Verpackung studiert. Gesalzene Butter – auf den ersten Blick – auf den zweiten Blick jedoch stellt sich heraus, dass der Brotaufstrich nur 40% Butter enthält, den Rest hat der Produzent mit Wasser und Rapsöl aufgefüllt, einem Teil Salz, das alles, um die Streichfähigkeit auch bei Kälte zu erhöhen. Auch bei extrem niedrigen Temperaturen. Das ist auch nötig in dieser schnellen Zeit. Da gibt es keine Ausflüchte. Niemand hat mehr Zeit, darauf zu warten, dass die Butter halbwegs streichfähig wird, nachdem sie aus dem Kühlschrank genommen wurde. Es soll sogar Zeitgenossen geben, die das tierische Fett inzwischen durch Olivenöl ersetzt haben, weil dieses direkt aus der Flasche gekippt werden kann. Und über Geschmack lässt sich nicht streiten. Aber jede Geschmacksnote lässt sich lernen.

Die Tatsache der Mischung scheint den kritischen Blick jedoch nicht auszulösen, immerhin hat dieser Frühstücksbrotaufstrich der besonderen Art trotz des Wasseranteils noch 67 % Fett. Schließlich erwartet das auch ein figurbewusster Verbraucher, Butter muss Fett enthalten. Sonst könnte man auch auf Frischkäse umsteigen. Mal ehrlich, wer glaubt schon an Diätbutter. Wer gar kein Fett haben möchte, der sollte am besten ganz darauf verzichten. Hm, lecker, Brötchen mit Gelee. So zumindest denkt Herr Nipp. Vielleicht geht es der anderen aber auch um eventuell vorhandene Zusatzstoffe und die diversen mit E und Nummer gekennzeichneten Stoffe, deren Funktion man gar nicht kennen will.

Das offensichtliche Entsetzen ist anderer Natur. Weigoni würde schreiben: Manifestation des Datums. Zufällig der Geburtstag unseres Herrn Nipp. Die Mindesthaltbarkeit über einen Monat überschritten. Das ist eine Frechheit, so etwas zum Frühstück anzubieten. Meint sie. Wie oft hat er solche Diskussionen bereits geführt. Immer das Gleiche. Er argumentiert, dass die Butter doch schmeckt, dass man nichts Widerwärtiges sehen kann, dass kein Schimmel vorhanden ist, mit anderen Worten, dass die Butter essbar ist. Nein, so etwas gehe wirklich nicht, da die Mindesthaltbarkeit abgelaufen sei, müsse der Rest entsorgt werden. Tolle Mentalität. Da wird halbwegs willkürlich jenes Datum festgelegt und schon glauben alle, das sei die Höchsthaltbarkeit. Viele entsorgen den Joghurt schon bei einem Tag überschreiten. Der Kühlschrank wird gemustert, ausgemistet und jedes Mal, wenn eine Packung entnommen wird, muss ein zwanghafter Blick auf die Anzeige auf der Unterseite geworfen werden. Da macht es auch nichts, wenn der geöffnete Frischkäse herumgedreht wird und das Käsewasser herausläuft. Hauptsache man weiß, dass der nicht überschritten ist.

Man stelle sich vor, dass demnächst Wein, Whiskey und andere hochprozentige Leckereien so ausgezeichnet werden. Dann gibt es keinen 1986er Rothschild mehr, sondern den vom letzten Jahr. Sämtliche Altbestände müssten sogar gesetzlich vernichtet werden. Wegen dieser Gefahr. Der Whiskey sollte nicht älter als 18 Wochen sein, nicht Jahre. Dann heißt es nicht reifen lassen, sondern Schnellkippen. Schwierig wird es bei den Weinen übrigens, weil sie nicht mehr ausreifen können, aber die meisten Menschen haben eh keine Ahnung davon, wie guter Wein schmeckt.

Es heißt aber nach wie vor Mindest – nicht Höchst. Abgesehen davon kauft Herr Nipp gerne im Vorrat und friert Butter auch schon mal ein viertel Jahr ein. Aber das wird er nicht zur Verteidigung vorbringen, er wird sich den Rest nehmen, auf seinem Brötchen verstreichen und so das vermeintliche Problem lösen.

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