Dem Höhepunkt des Lebens fühlte er sich nicht mehr nahe, da er mitten im Schilderwald der Stadt stand, leicht verwirrt, den einmal eingeschlagenen Weg nicht mehr gehen wollte. Nein, er hatte wohl ein oder vielleicht auch zehn Bier und nette kleine, klare Korn zuviel gekippt, war versehentlich mit der falschen Jacke, dafür aber sehr dickem, sich richtig anfühlendem Portemonnaie aufgebrochen, hatte sich noch direkt vor seiner Lieblingsspelunke herzerfrischend breit übergeben und war, vor allem natürlich, um einen frischen Kopf zu kriegen, mehr torkelnd als geradeaus gehend in Richtung eines der beiden Flüsse dieser Kleinststadt unterwegs. Der Rauch von allerhand geschnorrten Zigaretten hatte sein übriges getan. Alles fühlte sich fremd und ziemlich verbraucht an. Immerhin hatte er in der fremden Jacke neben einem gebrauchten Stofftaschentuch, mit dem er sich den Rest von den Lippen wischte und es dann hinter einem Stromkasten entsorgte, einem echt silbernen Feuerzeug, einem Taschenmesser aus Dammaszenerstahl, auch eine Blechdose mit Fisherman´s Friends gefunden. So war zumindest der üble Geschmack zu übertünchen gewesen.
Nun stand stand er da, der Fluss gefühlt noch kilometerweit entfernt, vor dieser Bretterwand, um sich herum unglaublich viele Schilder, die nicht real erschienen, waren doch alle sämtlich auf groben Betonfüßen aufgereiht und ließen sich beliebig drehen. Beim wiederholten Versuch eines umzuwerfen, was sicherlich seinem Allgemeinzustand geschuldet war, hatte er festgestellt, dass sich jedes wie ein Stehaufmännchen benommen hatte. Für einen außenstehenden Betrachter hätte sich sicherlich ein abstruses Bild ergeben. Ein volltrunkener Trottel, der mit Schildern spielt. Handy gezückt, aufgenommen und bei youtube eingestellt, innerhalb weniger Stunden ein Internethit.
Das aber war es nicht, was Herrn Nipp in dieser Nacht so faszinierte und ihn stundenlang dort stehen ließ, es war wohl eher das gelbliche Licht einer alten Straßenlaterne, welches sich auf den Blättern des Efeu fing, welches sich die Bretterwand erobert hatte, welche ja nun vor ihm stand. „…vom ewgen Wohlgefallen ausgeprägt, dem jeglich Ding, so wie es ist, gedeiht. – Mein Zweifel schien zwar klar aus mir hervor und wie unterlegte Farbe hinter Glas und konnte doch sich schweigend nicht gedulden und trieb mit seinem Schwergewicht die Frage mir auf die Lippen: ‚Was sind das für Dinge?‘ Worauf ich rings ein freudiges Blitzen sah.“, zitierte er aus Dantes Paradies so vor sich hin, als habe er irgendwann selbiges einmal auswendig gelernt, dabei war es ihm einfach angeflogen, hatte ihn im Rausch der Sinne überrumpelt. Jedes Blatt hatte an der Spitze einen blinkenden Tropfen des letzten Regengusses, sah wie frisch gewaschen aus. Er geriet in ein verinnerlichtes Schwärmen und konnte gar nicht aufhören dorthin zu sehen, als sei er mit jedem Blatt verbunden. Den Rhythmus nahm er auf, ein erfrischender Lebenspuls schien er ihm. Eine Form des bierseligen Glücks, welches nur jener verstehen mag, dem solches widerfahren.
Da traf ihn der Schlag des Handyklingeltons ins Ohr, er kramte das fremde Gerät heraus, fand tatsächlich geradezu intuitiv den richtigen Button (Das heißt auf deutsch Knopf, hört sich bei technischen Geräten aber besser an.) und wusste nun, es muss ein Weg zurück in die Spelunke führen, das peinliche Versehen aufzuklären. Doch dazu reichten seine eignen Füße nicht – vom Geistesblitz getroffen bestellte er ein Taxi, das seinem Wunsch schnell half. Der hohe Flug des Schauens war längst schon gebrochen, schon aber hatten Wunsch und Wille ihn ergriffen mit aller Inbrunst, sich still und heimlich mit dem ihm vertrauten Jackenbesitzer noch ein oder zwei Bier zu genehmigen.