XXX

Zeitnah (hier und dort):   Es ist Frühling, ich weiß wohl, da kochen die Säfte wieder langsam auf. Da wäre das Verliebtsein schön, jenseits der üblichen Selbstverliebtheit, ohne die Kunst nicht geht. Das Spiegelbild ist dann nicht ganz so nötig wie sonst. Im Verliebtsein stehen die Bilder im Raum, fangen ihre Schleiertänze an. Aber du weißt, letztlich liegt der Kopf auf dem Silbertablett, unsere Bilder. Die Selbstoffenbarung des Lebenwollens und –könnens und stetigen Versagensgefühls. Dann reden wir von Spielerei. Diese, die es gleichzeitig niemals ist, weil sie Disziplin einfordert, für jede Arbeit, die ihr eigene Regel zu finden. Und dabei gleiten wir, wenn es ganz schlecht läuft, auch in Routinen ab. In Bildgefüge, von denen von Vorneherein bekannt ist, dass sie funktionieren werden. Die Verhältnisse, ich brauch dir nichts von Harmonien und Kontrapunkten zu sagen, von den vielfältigen Möglichkeiten des goldenen Schnitts. Du trägst es in dir, die Formzusammenhänge, die Balance der Volumen und Farbqualitäten. Doch die Aussagen der Lineaturen sind Teil geworden. Die Kunst ist vielleicht die einzige Art, die Gegenwart festzuhalten. Kurz vor dem Sturz ins Vergessen. Diese Gedankenpartikel zu jonglieren und auf das Blatt zu werfen. Das ist wohl diese perfide Erotik des Augenblickes, in dem du das absolute Glück der geglückten Linie fühlen kannst. Wir sind keine Wissenden, weil so die Bruchstücke einer allgemeinen Erkenntnis gefunden, sortiert und neu arrangiert werden. Ja, das Schaffende, das Göttliche in uns, das antreibt, um weiter zu machen. Wenn die göttliche Liebe Kunst ist, dann ist die absolute Liebe wohl das Momenthafte, Begreifende des Ganzen als Kunst.

Zeitfern: Ach, ich bin kein Wissender. Ich zeichne, mal, schmiere das auf die Leinwand, das Papier, das was ich bin. Das, was ich war. In der Nacht. Alles Liebenswerte, alles Schreckliche wird in meinem Kopf in der Nacht erfunden. Alles Dialog, was wir hier führen. Wie ein Spatzengeschwader. Komm, jetzt, es ist Frühling, spring. Eine Welle aus Kraft in dieses Geschwader. Welle leidend. Der Schatten nicht malbar. Die Passhöhen sind die Versuche. Fangeisen lauern. Herrlich. Die kenne ich. Was schön machen. Und die Frage: Wie gefällt euch das? Antwort: „Du hast bessere Bilder gemacht. Ich weiß es, ja, ja.“ Versuchen als Versuch. Vom Bild gerichtet, vom Betrachter gerichtet. Nachtfinster gerichtet. Frühling, die Hummel brummt auf gelben Blüten. Und ich habe das Licht in der Nacht vom Licht unterschieden. Die Bienen schweigen noch. Ich schweife ab, ja, die Bienen sollen etwas Falsches sammeln. Soll ungesund sein. Gelesen, nicht geglaubt.  Zurück auf das Spatzengeschwader, und dann zurück in die Erinnerung. Da fällt mir Mutter ein. In meinem Leben ein Defizit. In Jahrzehnten aufgelaufen. Die Jahre ohne die Hände der Mutter. Ohne Augenblicke. Nur die Angst, vieles Schönes nicht erlebt zu haben. Zurückgedrängt in Träume, die plötzlich wecken in Schrecken. Weiß nicht, welcher Schrecken. Defizit. Den Wunsch wachrufen, alles zu erleben, in wenigen Sekunden. Mit ihr, der Mutter. Dem absoluten Universum. Sich drehen und wärmen im Uterus der Blüten. Behütet immer. Und außerhalb sie sehen. Ihre Gesichtsfalten durchwandern, in ihren Augen verweilen, und sich selber sehen. Das gleiche erleben wie sie. Lächeln, leben und umarmen. Ohne diese Angst der Gewohnheit. Wird nicht mehr sein. Einen Moment nur, mein lieber Zeitnah, den ich sagen wollte: Defizit gleich Sehnsucht. Keine Romantik. Und schon wieder lauert der Pinsel vor der fastleeren Leinwand. ———————Und auch tote Mütter lieben. Das Rautenherz habe ich durchgeblättert. Nun ist deine Zunge beredt, bereit?

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