Gezeitengespräch XXVII

Zeitfern: Die Dualität ist unser Leben. Hier wird alles, fast, gefestigt. Die Pole Anfang/ Ende. Punkt. Also reden wir über das „Dazwischen“. Wie immer. Ich sehe was, was du nicht siehst. Ich ziehe umher mit meinen Gedanken. Suche Orte. Was bleibt nach vielen Jahren. Alles wächst. Wirft Schatten. Will neue Orte suchen, mit freier Sicht. Neue Lichtungen. Ich brauche Sichtbarkeit. Rundum. Schatten schmerzen.  Schattenmale im Kopf. Doch noch mal dazwischen das Schöne. Dualität: Weißes Blau, Anmut und Azur, Italiener nehmen keine Butter, Begonien haben oft Läuse. Harte Schwämme. Ohne Wasser, Cerberus hat drei böse Gesichter. Ich nehme meine Augenbinde ab. Will wieder hier sein. Sorry, Zeitnah, habe mich verzettelt. Und nichts gesagt. Kalibrieren mal. Zum Hören.

Zeitnah (im Raum- und Zeitkontinuum verlaufen): Wieder einmal wolltest du mich auflaufen lassen. Das Schiff meiner Vorstellungen und liebgewordenen Gewohnheiten hinterrücks zum Kentern bringen, von wegen verzettelt. Du hast die Zettel stapelweise geworfen und gleichmäßig über die Gedankenlandschaft verteilt, wissend, dass ich das nicht so hinnehme, nicht so stehen lassen kann. Es gibt nicht nur das Ja und das Nichtja. Da finden sich auch das Fastja und das Geradenochja, all die Schattierungen des Fragwürdigen, die nicht so einfach zu kontern sind, die sich nicht in unsere wohlgebauten und samtgefütterten Schubladen und Sortenkästen einordnen lassen. Immer dann nämlich, wenn ich die semantische Unabwägbarkeiten, jene paradoxen Ungenauigkeiten entdecke, in den Argumentationen und hochtrabenden Betrachtungen und Erläuterungen der Hochgelehrten. In den banalen und flapsigen Äußerungen des gemeinen Volkes ebenso. Nein, du kannst mich nicht narren und so mir nichts dir nichts in die Irre führen. Ich glaube nicht an dieses einfache System.

Zeitfern: Ja, ja, natürlich beinhaltet das Denken die große Bandbreite des Lebens. Anfang und Ende. Jeder weiß es, jeder spürt es. Ich denke, alles wiederholt sich. Nicht gleich, aber unter anderen Ereignissen. Zum Beispiel: Ich werfe vor vierzig Jahren einen Stein irgendwohin. Was geschieht danach? Ok, das ist Kleinfritzchendenken. Nur anders. Ich meine auch nicht die berühmten Schmetterlingsschläge am Amazonas, die irgendwo auf der Welt Sturm auslösen. Ich meine, man tut etwas, eben diesen Stein werfen. Nach zirka vierzig Jahren wiedergefunden. Habe lange gewühlt im Wald. Aber gefunden. Er hatte sich nicht verändert. Waldmeister war darüber gewachsen. Doch die Erinnerung weiß ich noch. Dieser Ort, nah am Weg. Den es heute nicht mehr so gibt. Da, wo wir gesessen haben, gelegen, im Wald, geliebt. Auf der Hut, weil am Weg. Es war Sommer. Ich nahm einen Stein. Da lagen nicht viele griffbereit. Warf ihn ein paar Meter weg. Sagte: Das soll unser Glück sein. Sie lächelte, sagte: Den findest du nicht wieder. Uns, unser Geruch war einst. Wir waren glücklich. Erinnerungen dazwischen. Ich habe den Stein noch mal geworfen. Es gibt immer Orte, da ist was Magisches dran geheftet. Im Kopf verankert, ganz tief. Komme ich an diese Orte, springt die Vergangenheit mir ins Gesicht.

Zeitnah (Raum Zeit): Du siehst das Magische, nicht weil es ist, sondern weil du bereit bist, es zu sehen. Ja, es ist. Natürlich gibt es das. Es kann ein Ort sein, eine Zeit vielleicht. Es kann in einer Situation liegen oder ganz mit einer Person verbunden. Das große Magische ist nicht fassbar, sondern stellt sich in ganz unbedachten Augenblicken in den Weg, stellt ganz unverblümt eine bestimmte Sicht auf die Dinge in den Raum. Manchmal denke ich, das eigentliche Wort hierfür ist „Heimat“.

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