Auf Anrufe warten

Es ist durchaus gewagt, ein mobiles Telefon mit zur Badewanne zu nehmen. Wenn man jedoch ganz dringend auf einen bestimmten Anruf oder zumindest auf eine Meldung wartet und diese partout nicht kommen will, wird einen auch das Wasser und die damit verbundene Feuchtigkeitsgefahr nicht davon abhalten, das technische Gerät mit den vielen Funktionen auf den Badewannenrand zu legen. Man kann viel über die Multifunktionalität von solchen technischen Errungenschaften nachdenken, es ist auch schon viel spekuliert worden, wie es weiter gehen könnte, was noch aufgesattelt werden könnte. Ja, sogar Philosophen haben sich inzwischen mit dem Mobiltelefon beschäftigt, da es sich nun anschickt, zu einem weiteren, zu einem externen Organ des Menschen zu mutieren. Schnittstelle in die andere Welt, die der Daten. Wir leben inzwischen in zwei Welten, ob die Politik das nun einsehen will oder nicht. So gesehen kann hier sogar von einer Art säkularem Schisma gesprochen werden. Darüber aber wollte er gar nicht nachdenken. Dies überließ es lieber dem eintönigen Geplänkel der neudeutsch genannten Nerds. Das größte Manko war in seinen Augen sowieso die Tatsache, dass die drei wichtigsten Funktionen immer noch nicht installiert waren: Bügeleisen, Küchenmixer und Bohrmaschine.

Ein Buch befand sich in seiner linken Hand. Ein ausgiebiges Bad ohne Lesen wäre für ihn nicht denkbar gewesen. Dieses von Wärme umspült sein musste einfach von einer inneren Befriedigung begleitet werden. Manchmal taten es dann einfach Romane, manchmal ein Gedicht. Oder ein Essay mit starkem Inhalt. Das wirkte dann wie die erste Zigarette, die man wie im Rausch inhaliert.

Herr Nipp hatte diverse Anrufe getätigt und niemand war dran gegangen. Versuchsaufgeber. Er hatte auch schriftliche Kurzbotschaften versendet, ohne Erfolg. Der Kanal blieb einfach leer. So saß er also in seiner Schaumburg ohne Palais und lenkte sich mit einem netten kleinen Roman namens „VORN“ von der schnöden Realität des Wartens ab. Warten an sich prägt zwar unser Leben zu großen Teilen (Hatte es eigentlich schon eine wissenschaftliche statistische Erhebung zum Thema warten gegeben? Wieviele Jahre des Lebens verbringt man im Wartemodus?), hoffnungsloses Warten aber ist eine kaum erträgliche Marter und nicht immer entspringt ihr eine Welterkenntnis wie beim Warten auf Godot. Auch so werden Märtyrer geboren. Diesen Abend würde nichts mehr kommen, so sehr er auch an sie dachte. Nein, die kleinen Indizien sprachen eindeutig dagegen. Da er nachmittags nicht bei ihr erschienen war (und dafür hatte es wohl gute Gründe gegeben), würde sie sich auch nicht melden und seine stumme Bitte erst mal ignorieren.

Dass das Vibrieren, dieses verheißungsvolle regelmäßige Summen, das den gesamten Untergrund in Schwingungen versetzt, ihn aus der Welt der Buchstaben riss, verwunderte nicht. Wer genau hinschaut, der wird sofort verstehen, welche Faszination das in ihm auslöste. Die Wellen wurden über die Badewannenwand (alte Gussbadewanne aus Kruppstahl) ins Wasser übertragen. Der ganze Körper so mit einer feinen Schwingung geflutet. Nach dem vierten Mal, öffnete er seine Schiebetelefon und nahm an. Schon auf dem Display konnte er den Namen lesen und schlagartig hellte sich sein Gesicht auf. Damit war nicht zu rechnen gewesen. Kaum zu hoffen gar. Der besonderste Mensch aus anderen Tagen. Ein Stützpfeiler, immer wenn es darauf ankam. Ein langes Telefonat folgte, mit all den Haken und Ösen, mit versteckten Schlingen und Fallgruben, Frotzeleien, kleinen Spitzen und Verfänglichkeiten, die sich nur in langer, echter Freundschaft aufbauen können. Vertrautes Geplänkel und Seelenbalsam. Genau die richtige Medizin für diesen Abend.

Nur dann, wenn man ohne Eifersucht liebt, auf einer Ebene, die nicht zu erklären sein würde. Metaphysik? Nein, es gibt Zufälle, nicht umsonst ist im Griechischen das Wort Schicksal gleich Zufall.

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