Gezeitengespräch XXIV

Zeitfern:  Auf Hügeln ausgestreut liegen die Steine, von meinem Tun im Leben. Du hast erkannt: Sie sind nicht hart, sondern durchsichtig, weich und zugänglich, bündeln alle Reflexe des Lebens. Bilder und Wörter geschrieben, gemalt füllen die Nischen. Damit ich weiß, wohin ich gehe. Und die Orte, angenehm. Und nicht verdunsten. Und da bist du auch ein Ort. Neben mir im Kopf.

Die Steine könnten auch Brote sein. In meiner Erinnerung aufgelaufen. Kind ich. „Hol mal ein Graubrot beim Bäcker.“ Ich holte gerne dieses Graubrot. Lang und gewichtig. Es roch gut. Wurde in eine kleine Papierbahn, dünn, eingehüllt. So konnte ich es unter den Arm nehmen. Das Geld war abgezählt. Auf dem Weg zurück brach ich lustvoll die vorderen harten Krusten ab. Das war ein Geschmack. Ein Genuss ohne Ende. Daheim angekommen, noch kauend, gab es jedes Mal Kritik. Sieh mal, wie das Brot wieder aussieht. Kannst du das mal lassen. Den Knapp musste ich dann essen. Die Strafe machte das Brot weniger lecker. Ich nenne das liebevolle Strafe.

Zeitnah (im Hier angekommen): Das mit dem Graubrot kannte ich auch. Aber nicht zum nahen Bäcker, der machte nicht so gutes Graubrot. Auch nicht doppelt gebacken, das kostete dreißig Pfennig mehr. Ein Laib ging bei uns schnell weg – bei vier Kindern. Strafe war für mich die Hausmacherleberwurst, die Blutwurst von den Schweinen, die ich in der Woche zuvor noch im Stall gestreichelt hatte. Leberwurst, die feine, mochte ich und Fleischwurst, die aus den Ringen geschnitten wurde. So schneide ich heute noch Scheibe für Scheibe der Kindheitserinnerungen und lege sie genüsslich in den Mund. Ist denn die Brotkruste nicht immer diese Sehnsucht. Wir naschen am Alltäglichen und lieben es. Weil die heimliche Versuchung immer reizvoll ist, auch die Gefahr des Entdecktwerdens. Wie eine Kanonenkugel aus einem alten Mörser schießt sich diese Gewissheit Löcher ins Gewissen. Gewiss.

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