Gezeitengespräch XXIII

Zeitfern: Pinselstriche halten das Leben fest. Jede Erfahrung ein Kürzel. Wir bannen den Tod. Wir üben ihn ein. Die schlechten Enden werden mit Farbe bedeckt. Zugedeckt. Es gibt dieses Farbenschicksal: Weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Schwarz wie Ebenholz. Auch zugedeckt. Zeichen setzen? O.K., Zeitnah, lass uns für zwei Dialoge schweigen von der Liebe. (Obwohl sie immer brennt.) Ein bisschen Melancholie im Januar. Ja, gestattet. Heute ein Rotkehlchen gesehen. Der Apfelbaum, entfernt von meinem Fenster, trägt noch einen Apfel, rot, gelb, leuchtend. Ganz oben in der Spitze. Er will nicht fallen. Dieses Rot. Wir reden jetzt nicht über die Liebe. Mir fällt auf, Männer reden viel von Liebe. Tag und Nacht. In alten Filmen ist dieses Wort raumfüllend. Wir wollen unseren Dialog winterfest gestalten, kühl. Es soll Schnee fallen, kommen. Wie A.J. Weigoni sagt: Ein Szenario für Klangmaler. Also: Reden wir über den Moment, der vergeht vor der Errötung. Bleich weiß. Hart ist hart, sagte der Pathologe und setzte das Seziermesser an. Klarer Moment. Weiße Kälte. Schon wieder Winter. Aber wie versprochen, keine Liebe. Januar-Melancholie.

Zeitnah (hier und jetzt):   Nein, mein Lieber, natürlich keine Liebe, denn wenn immer wir davon sprechen, geht wohl ein Teil von ihr verloren, verliert sich im Raum, so dass wir sie nicht wieder finden können. Nein, die Liebe geht nicht verloren, sie hat nur die blöde Eigenschaft – wie jede Energie – sich zu verteilen. Gleichmäßig im Raum, in Zeit und wird nach und nach den Raum füllen, wie jene Rose, die Magritte gemalt hatte. Die den Raum geflutet hat. Ihn vielleicht demnächst sprengen wird. Ein Physiker erklärte mir das Gesetz der Energie. Entropie.

Wir wollen aus der Distanz in diese eben welche hineinbetrachten. Die Dinge und Menschen und natürlich ihre Verhältnisse zum Sein. Großkotziger Philosophengedanke. Nein, den will ich auch nicht. Jenes Kunstvokabular mag ich nicht. Mag es weder zu fassen, noch anzuwenden. Wenn sich die Wortbeschreibungen des Lebens so weit vom Leben entfernen, dass sie einer Beschreibung bedürfen, dann handeln sie von reiner Selbst-Gefälligkeit.

Der Januar zog einfach vorbei, hinterließ keine Spuren. Der Schnee ist andernorts gefallen. Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz. Und ein Stück Gold, das vom Himmel fällt, jedes Mal, wenn ich dich sehe, Zeitfern.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.