Gezeitengespräch XVII

Zeitnah (frühtags): Liebe? Ja, die gibt es, das ist klar und sie will nicht vergehen. So kommt es, dass man auch später weiterliebt, alles für sich, jede und jeden für sich, auf seine richtige Art, nach dem Tod auch, nach der Trennung trotzdem. Diese Macht, die uns ein Netz im freien Fall des Lebens bietet, manchmal auch nur einen Strohhalm der Erinnerung. Wer glaubt, nur eine könne geliebt werden, der liebt vielleicht falsch, weiter weg von der Realität, als er oder sie meinen könnte. Ha, das ist ein System, an dessen scheinbar natürlichen Gesetzmäßigkeiten wir uns verfangen können. Die Normen erwarten eine romantische Liebe zwischen zweien, das ist eine Erfindung, für Staat und Kirche, so einfach ist das. So wird es den Institutionen leichter gemacht. Aber das ist Unfug, eingeredete Realität. Wir balancieren auf den Stegen zwischen den Löchern und sind froh, dass wir Gleichgewicht halten können, das innere vor allem. Diese künstlichen Unterscheidungen der verschiedenen Liebesarten. Denke ich an meine Kinder, fühle ich nicht viel anders als bei einer Frau. Es zerschneidet mein Herz, wenn sie Sorgen haben oder wir streiten müssen. Der Bauch verkrampft sich bei jedem unglücklichen Blick, bei jedem Abschied auf Zeit. Jeder Streit ist mir ein körperlicher Schmerz. In diesem Augenblick die Augen schließen. Aus Müdigkeit, nicht Tod, kann ich umso klarer denken und gleichzeitig aus der Zeit entfliehen. Da ruft jemand „Kaffee ist fertig“. Das Gegenüber, das ich liebe, ein Mann, egal, ein Freund, ja. Er rezitiert laut und rhythmisch. Aber wohin verirre ich mich. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, sie haben erkannt, dass es nicht mehr ankommt, der hört nur noch auf sein Smartphone.

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