Eckspelunke

Wieder einmal sitzt Herr Nipp in jener kleinen Eckspelunke, welche er vor ein paar Wochen für sich entdeckt hat. Eigentlich kann man ihn ja wirklich nicht gerade als Kneipengeher bezeichnen, selbst in seinem langen, einige sagen, viel zu langen Studium, hatte er sich vielleicht zehn Mal in all den Jahren abends mit ein zwei guten Studienfreunden in ein Lokal gesetzt. Dies war nicht nur seiner Sparsamkeit geschuldet, auch wenn er durchaus zu eben dieser geneigt hatte. Lieber sparsam leben und weniger neben dem Studium arbeiten müssen, als einen auf dicke Hose zu machen, dabei aber jede freie Minute arbeiten zu gehen. Wobei ihn hier schon die Frage geplagt hätte, was denn Freiheit ist. Auch heute glaubt er, dass die Menschen mit dem Begriff Freiheit vor allem Trägheit verbinden. Nicht tun zu müssen. Er selbst war allerdings der Meinung, dass die Freiheit nichts mit Geld zu tun hatte, sondern damit, sie sich selbst tätig und vor allem täglich erarbeiten zu müssen.

Aber das soll eigentlich gar nicht thematisiert werden. Jedesmal, wenn ich über diesen Herrn nachdenke, komme ich vom Hölzchen aufs Stöckchen oder wie meine Mutter immer sagte vom Hundertsten ins Tausendste. Oft ergeht es mir dabei allerdings so, dass die kleinen Begebenheiten völlig aus dem Auge zu geraten drohen und zum Schluss weiß ich gar nicht mehr, worum es eigentlich hatte gehen sollen. Vielleicht sollte sich der Erzähler aber auch völlig zurückhalten und seine eigene Meinung oder sein schreibendes Handeln gar nicht kommentieren. Er wird dadurch wahrscheinlich viel zu transparent. Aber da es hier ja schließlich nicht um Literatur geht, und das ist kein Fishing for Compliments, sondern durch eine höhere, hier nicht weiter zu bezeichnende Instanz festgesetzt, darf ich auch mal das bezeigen, was meiner Realität entspricht: Schreiben und Inhalte generieren letztlich den Zufall durch Assoziation und Bisoziation und diese lassen Gedankengeflechte entstehen, die ich gar nicht mehr entwirren kann und will und selbst wenn ich mich nur auf die Notizen konzentrieren würde, immer arbeiten die Texte Krebsgeschwüren gleich ihre eigenen Sinne und Inhalte, ihre selbstgewählten Bedeutungen und Bedeutungslosigkeiten, heraus. Also entschuldige, lieber Leser, liebe Leserin, und schon dies sollte doch eigentlich umgekehrt zu formulieren sein, dass ich manchmal ausufernden und vor allem halbgaren Blödsinn schreibe, nein, nicht Blödsinn, sondern wie es die Süddeutschen sagen würden,  Schmarrn. Immerhin versuche ich dabei die Stellschraube ein Stück fester zu ziehen und sei es nur dahin gerichtet, überhaupt dem Wort einen Sinn zu geben oder diesen selbst zu entdecken oder noch besser: zu entlarven. Nein, Hochwortkunst kommt dabei beileibe nicht zustande und das mag ich ja gerade, diesen Kontrast zwischen dem, was ich selber schreibe und dem, was ich lese. Manchmal aber, das sei gesagt, ist es einfach angenehm, einen Text zu lesen, der nicht Tage des Verstehens in Anspruch nehmen muss, sondern als einfachste Zubettgehunterhaltung funktioniert. Nicht jede Klolektüre muss doch schließlich anstrengend sein. Aber genug davon, sonst wächst es sich noch zu einem theoretischen Essay über das Verfassen von Texten aus.

Herr Nipp hatte mit einigen seiner Freunde eine Art Spiel gespielt: Sie hatten sich Kriterien für die Bewertung von Eckspelunken zusammengeschustert und waren dann wochenlang durch sämtliche Kneipen des Ortes gezogen, jeden Abend eine neue kennen gelernt. Als Nichtausgeher, sondern lieber zu Hause Trinker und Feierer war das eine durchaus neue Erfahrung, plötzlich mit fremden Gesichtern konfrontiert zu sein. Mit Menschen, die offen hörbar innerhalb der eigenen Sprache eine völlig andere Sprache sprachen, eine von Floskeln und Sprüchen durchsetzte,von Witzchen und  voraussehbaren Bonmots. Vor allem die Themen stellten sich für ihn als völliges Neuland heraus. Nicht nur Fußball wurde dort ausdiskutiert, so das überhaupt möglich ist, sondern auch Autos, natürlich auch die Trivialmythen unserer Gesellschaft. Gestandene Männer unterhielten sich dort tatsächlich über typische Frauenthemen, wie zum Beispiel das englische Königshaus und Krampfadern und alle anderen Wehwehchen. Wehe aber, wenn dort irgendwelche Frauen hinzukamen, dann wurde sofort auf Machothemen umgeswitcht. Umgeschaltet, schließlich braucht es doch keiner Anglizismen, wenn es gute andere Worte dafür gibt. Jedenfalls sind aus dem Spiel regelmäßige, wenn auch nicht häufige Besuche in eben dieser Kneipe geworden. Sie war einfach die beste.

Sie wird von einer alten Frau geführt, die sicher schon vor Jahren oder Jahrzehnten in den Ruhestand hätte gehen können. Eine freundliche kleine Frau mit verständnisvollen Augen und einer Mimik, die zeigt, dass sie schon viel erlebt hat. Diesen Menschen kann so schnell keine Geschichte erschütternd aus der Bahn werfen, kein Erlebnis kann sie von Sockel hauen.

Er wartet also auf eben jene Freunde, die heute allerdings wohl nicht mehr kommen werden. So können die anderen Gäste mit ihren kleinen netten Ritualen beobachtet werden, mit ihren Würfeln und Trinkspielchen und den Verschwörungstheorien, die von ganz Kleinen bis zur großen Politik gehen und durchaus teilweise hellsichtig erscheinen. Da wird gerade über einen Dokumentationsfilm auf youtube gesprochen, der die Anschläge am 11.09.2001 zum Thema hat. Über Filmsequenzen, auf denen überhaupt keine Flugzeuge zu sehen sind, auf denen bewiesen wird, dass alles dies eher einer kontrollieren Sprengung gleichkommt, in denen gezeigt wird, dass ein Jumbojet nun einmal nicht in ein 6 Meter großes Loch im Pentagon passt. Aber all dies bekommt doch irgendwie ein Geschmäckle genau dann, wenn die Zungen ihren Dienst nicht mehr pflichtbewusst erfüllen wollen. Ach ja, und dann wird natürlich wieder alles ausgeweitet auf die Mondlandung, den Präsidentenmord und natürlich die Vorgänge in Area , „äh, weiß gerade die Zahl nicht, 51 oder so“. Wer jetzt böse wäre, würde auch noch die Antwort 42 auf die Frage aller Fragen einbringen, denkt Herr Nipp und bestellt sich sein drittes großes Blondes.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.