Die Kiste: Wein

Während von draußen der Sturm an die Fenster knallt, jene, die Herr Nipp auf Kippe hat, übel klappern lässt, und an den Türen rüttelt, erscheint es ihm ganz gemütlich auf seiner bloßen Matratze, die er sich vom Bettgestell heruntergezogen hat. Nur manchmal zuckt er mit laut pochendem Herzen zusammen. Immer dann, wenn das aus den Märchen bekannte himmlische Kind so arg rüttelt, dass es zu knarzen beginnt. Zuweilen hat er den unbestimmten Eindruck, dass noch jemand in der Wohnung ist, einmal schaut er sogar nach.

Er hat sich gemütlich eingemuckelt, liegt unter der beigen Decke, die Arme stützen seinen schweren Kopf. Er blickt in  die Flammen, neben sich steht ein Wein. Ein guter Bordeaux, den er unten im Schrank ausfindig gemacht hat. Was gibt es Schöneres. In die Flammen schauen und die Bilder fluten lassen. Die immer gleiche Bewegung der Feuerzungen, die aus dem Holz schießen, das nächste Stück lecken und auch dort Fuß fassen werden, auch dort ihre Vernichtungsarbeit schlagen, bis diese feste Masse ihre Integrität verliert, bis sie sich zu weißem Staub auflösen wird. Wieviele hundert und tausend Kilogramm hat er schon durch den Schlot gejagt. Alles Holz, das er selber geschlagen hatte. Ganze Wälder sind für diese Gemütlichkeit in den Ofen gewandert.

Sein Rücken ist mal wieder angeschlagen, eine falsche Bewegung, ein Ruck durch den gesamten Körper, Hexenschuss. Das erste Mal hatte er diesen Zustand damals, als die Eltern noch lebten, in deren Wohnzimmer. Er konnte sich plötzlich nicht mehr bewegen und blieb in einer lächerlichen Position hängen, alle lachten, dachten, er würde Spaß machen. Das aber war beim besten Willen kein Spaß, das war ernst. Ein ganz böser Hexenschuss.

Auch solche Gedanken gehen ihm durch den Kopf, an solchen Orten wie vor dem heimeligen Kaminofen ist kein Gedanke zu banal. Alles wird plötzlich wichtig, nichts nichtig. Das Hirn tritt seinen Flug über die Formen und Farben an, durch die in Süskinds Parfum so wunderbar beschriebenen Geruchslandschaften, die Gebirgsketten der Gefühle. Er sinniert über die Beziehungen und Überschneidungen der Sinne, jenes Synästhetische, das ihn zuweilen überkommt. Was haben Berührungen mit Farben zu tun, was Musik mit Formen? Ein kreisender Finger über der Hüfte kann da durchaus schon einmal ein rosafarbenes Barockdekor zeigen, aber nur, wenn man die Augen schließt und sich ohne Vorbehalte darauf einlässt. Er kümmert sich um die Zukunft, auch den nächsten Tag, dabei trinkt er in kleinen Schlucken ganz genießerisch seinen dunkel leuchtenden Wein, ganz nach dem Motto von Wilhelm Busch, welches er erst morgens aus seiner Kiste gezogen hatte: Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben.

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