Aus voller Brust und mit Inbrunst, wenn dieses Wort überhaupt noch Teil des aktiven deutschen Wortschatzes sein sollte, hatte er geniest. Nichts. Keine Antwort, obwohl um ihn herum einige Bekannte stehen. Früher galt es als höflich, dem anderen „Gesundheit“ zu wünschen. Man wollte nicht darauf aufmerksam machen, dass der Andere, das Gegenüber krank ist, sondern den Nieser als Anlass nehmen. „Ich wünsche dir Gesundheit, ich nehme Anteil an deinem Leben.“ Auch wenn dies ganz elliptisch auf ein Wort verkürzt war. Meistens konnte man damit eine kleine Freude bereiten. Heute aber Schweigen. Vor einigen Jahren haben einige selbsternannte Kniggenachfolger in die Welt gesetzt, dieser Wunsch sei eine Unsitte und damit auch noch unhöflich, weil man den Anderen eben auf einen bereits bekannten Zustand aufmerksam mache. Das habe, so wurde in der Folge diskutiert, schon fast diskriminierende Züge.
Herr Nipp blickt sich verwundert um, auch seine Bekannten, die er sonst jeden Tag sieht, halten sich wohl neuerdings an diese neue Gepflogenheit. Trotzdem sagt er aus alter Gewohnheit „Danke“. Da meint einer seiner engeren Bekannten: „Wenn schon, dann solltest du dich entschuldigen.“ Soweit ist es also gekommen. Weil irgendwelche Leute irgendetwas in die Welt setzen, dies in der einschlägigen Presse veröffentlichen und in Boulevardmagazinen auch noch diskutieren, glauben die restlichen Mitbürger daran. Aus einer kulturellen Höflichkeitsfloskel wird eine Unmöglichkeit, neudeutsch dann wohl no go. Demnächst soll dann wahrscheinlich, denkt Herr Nipp, auch noch der freundschaftliche, der höfliche, der geschäftliche Handschlag abgeschafft werden, weil man dem Gegenüber ja irgendwelche Bakterien in die Hand drücken könnte.
Herr Nipp macht sich auf dem Heimweg verstimmte Gedanken. Zu Hause angekommen zieht er aus alter Gewohnheit einen Zettel aus der Kiste und findet nur ein Wort: „Gesundheit“