Die alten rotweißen Hemden waren ersetzt worden durch grelle Farben und auch die Lodensachen und Kniebundhosen hatten Erneuerungen erfahren. Sie fanden nur noch trachtenmäßigen Einsatz. Seltsamerweise wurden allerdings nur fünf Jahre später für Herrn Nipp gerade diese alten Trachtenjacken sehr interessant. Er sicherte sich genau diese aus den frühen sechziger Jahren, seines Vaters. Die hatten Jahre im Keller gehangen, wurden optisch etwas aufgepeppt und schon waren die ehemals geschmähten Traditionsklamotten Ende der Achtziger modern, zumindest in gewissen Kreisen. Graue Lodenjacken in Kombination mit zerschlissenen und selbst bemalten Jeans und Rollkragen. Tägliches Modeaccessoire der sogenannten Indieszene. Wie sang irgendwann eine deutsche Band? „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein.“
Auf jeden Fall hatte man zu dieser Zeit immer eine rote Regenjacke mit sich zu führen oder ein großes rotes Planentuch, damit einen im Notfall jeder Hubschrauber sofort sehen würde. Ob das auch heute noch der Fall ist, kann Herr Nipp gar nicht sagen. Normalerweise trägt man ein Handy bei sich und kann darüber relativ einfach geortet werden. Er hatte sogar schon davon gehört, dass vom Wetter überraschte Wanderer per SMS gerettet wurden – die Umwege interessieren da fast gar nicht. Da wird eine Nachricht nach Norddeutschland geschickt – vielleicht vom Watzmann, damit dort über die Feuerwehr in München endlich ein Einsatzteam verständigt wird. Da braucht es keine rote Plane mehr. Funkortung ist die Devise.
Wahrscheinlich ist es eine der ganz großen alpinen Erfindungen, dass man nicht mehr die trenkerschen Walkloden tragen musste, kein schweres Ölzeug, sondern Kunststoffgewebe, die klein zu knubbeln waren. Ein wahrer Segen, plötzlich hatte jeder jenes seltsame Bündel umgeschnallt, wie ein Kissen. So konnte mehr Proviant mitgenommen werden. Klassischerweise vinschgauer Brötchen mit Fenchel, Kaminwurzen mit Knoblauch im Naturdarm. Natürlich durfte auch der sextner Bauernkäse nicht fehlen und Äpfel von Despar. Schon zu dieser Zeit aber auch jene Früchteriegel, die heute sicherlich Powerbars genannt werden, Rosinen, Nüsse und Trockenfrüchte zwischen Esspapier. Herr Nipp hatte diese Leckerbissen damals besonders geliebt und natürlich auch die Panzerkekse von der Bundeswehr, die er zuerst vom Freund seiner Cousine geschenkt bekommen hatte. Später besorgte man sich für längere Touren auch die ganzen Einmannpackungen, die strotzten vor Konservierungsmitteln und waren auch die nächsten zwanzig Jahre noch haltbar. Damals schon umwerfend, wenn Anfang der Achtziger schon das Mindesthaltbarkeitsdatum vom Jahr 2001 darauf stand. Wie ist so etwas zu erreichen? Sein Onkel besorgte die direkt bei der Bundeswehr, hatte gute Kontakte dort. Er wurde mit dem günstig beliefert, was die Wehrdienstleistenden partout nicht essen wollten, für Pfennigbeträge. Dazu gehörte auch die halbbittere Schokolade, jeweils 50 Gramm von der Firma Brandt. Meistens hatten die Täfelchen weiße Flecken, weil sie wohl schon häufiger kalt und warm geworden waren. Und die 300 Gramm Mahlzeiten im Alupack, konnte man über dem Gaskocher oder Esbit schnell aufwärmen und schmeckten gut. Und leckere scharfe blaue Kaugummis. Ein Töpfchen Marmelade und Käse. Dicht und für die Zukunft haltbar. Gewürzt mit viel Glutamat. Die würden jeden Atomkrieg überstehen. Mad Max lässt grüßen.
