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Durchaus intelligent sollte sie erscheinen, aber wenn die Songs zu intellektuell wirkten, dann wurden sie einfach nicht veröffentlicht. Dann kamen sie nicht auf die nächste Platte. Schon seltsam, dass sie noch immer in dieser Kategorie dachte, dabei wurden die meistens Alben inzwischen rein virtuell aus dem Netz geladen. Die User kaufen nicht mehr ein handfestes Produkt, sondern ganz platzsparend nur noch die Daten. Wenn die Lieder nicht passten, wurden sie in den Giftschrank eingeschlossen. Da blieben sie auch, bisher für immer. Wie viele solcher Sachen hatte sie in den letzten Jahren schon aufgenommen. Damit ließen sich einige Vinylplatten füllen. Vielleicht sollte sie das irgendwann mal machen, gerade das Verbotene tun. Ein Dreieralbum in limitierter Auflage unter Pseudonym, vielleicht ihrem echten Namen, den sie tatsächlich noch immer geheim halten konnte. Warum ihr das gelang? Die Familie war desinteressiert, alles sogenannte Akademiker, die sich nicht mit Trivialkultur beschäftigten, die hatten noch nicht einmal vom Erfolg der Tochter erfahren, ihre Schwester hielt dicht und Kontakte in die Vergangenheit waren schon vor Jahren abgebrochen worden. Außerdem hatte sich damals wirklich niemand interessiert. Sie galt als Mauerblümchen und von ihrer Stimme wusste kaum jemand.

Nur 500 Exemplare oder als rheinischen Humor vielleicht doch sogar nur 111. Irgendein Verlag aus Mühlheim an der Ruhr war bekannt für solchen Unfug. Erst einige Jahre später würde dann bekannt werden, dass diese unglaublich verschrobenen Klänge, die expressiven Texte von ihr sind. Plötzliche Raritäten der Popkultur. „Hey, ich habe da eine Originalpressung des Dreieralbums, was biste bereit zu zahlen?“ hörte man dann auf Plattenbörsen. Wahrscheinlich aber würden die Scheiben bei Ebay zu astronomischen Summen versteigert. Vor einigen Jahren hatte sie selber eine seltene Maxisingle von Profil dort ersteigert: „Berühren“. Neue Deutsche Welle. Beginn der achtziger Jahre. Eigentlich ein banales Liedchen, aber es hatte immer dieses seltsame Gefühl von Sehnsucht in ihr ausgelöst. Dabei klang die Stimme des Sängers eher arrogant und gefühllos. „Ich möchte dich berühren, ich möchte dich verführen.“ Dass allerdings so viele Leute mitbieten würden, hatte sie nicht erwartet, damit wäre nur zu rechnen gewesen, wenn sie eine Ahnung gehabt hätte, wie selten diese Pressung ist.

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