XVI 6

Die Gelenke schmerzten etwas, sie hatte es in den letzten Tagen wohl mit dem Sport übertrieben. Aber um den tief sitzenden Fruststau abzubauen, bedurfte es schon außergewöhnlicher Mittel. Einige Kollegen waren ihr persönlich bekannt, die es mit Alkohol versucht hatten, mit Drogen und exzessivem Sex, die regelmäßig an ihrem Leiden scheiterten. Ein Schauspieler, mit dem sie kurze Zeit eine Bettbeziehung geführt hatte, um die zwei Wochen, und die meiste Zeit davon wirklich im Bett, war ins Boxstudio gegangen. Er war wohl der Meinung, dass nur außergewöhnliche körperliche Betätigung  zur Befreiung des Geistes vom äußeren Druck führen konnte. Allerdings hatte das bei ihm dazu geführt, dass wohl der Körper wirklich ansehnlich gestaltet war. Fein formulierte Muskeln in allen Bereichen, die intellektuelle Beschäftigung hatte allerdings darüber einen Prozess der Verkümmerung durchgemacht. Eventuell ist es eben doch nicht ganz optimal, wenn man täglich etwas vor den Kopf bekommt. Auch wenn er wirklich gut aussah, ein optischer Traummann, seine platt als Dummheit zu bezeichnende Persönlichkeitsstruktur war ihr schnell auf den Geist gegangen. Vögeln mag eine Zeit lang ausfüllen, auf die Dauer reicht das allerdings nicht. Bei all seiner Phantasie im Bett, fehlte ihr das Wort. Am Ende dieses zweiwöchigen Dopaminrausches hatten sie noch gut zusammen gebruncht und waren dann freundschaftlich auseinander gegangen. Das war inzwischen vier Jahre her. Manchmal traf sie ihn noch auf irgendwelchen Benefizveranstaltungen oder Filmpremieren, er war auch auf einigen ihrer Konzerte gewesen, wenn es eben passte. Manchmal sahen sie sich auch monatelang nur auf irgendwelchen Magazintitelseiten. Das ist ihr inzwischen ganz egal geworden. Es war einfach keine Liebe, nur Lust.  Das war ihr der jetzige Schlagzeuger, der manchmal die Nächte und Kopfkissen mit ihr teilte, schon lieber, der zwar meistens schwieg, der aber in seltenen Momenten scharfsinnige Dinge in den Raum trug, die sie anrührten. Ein Mann wie ein Metronom, der die Welt hinter seinem Schlagwerkzeug genau beobachten konnte und seine Schlüsse zog.

 

Bei Tourneen musste sie außerdem körperlich fit sein, da war der ganze Künstler verlangt. Mit Haut und Haar. Wer sich da Schwächen erlaubt, der kann ganz schnell aus dem Tourrhythmus fliegen und dann geht alles schief, bis zur Absage von einzelnen Terminen, weil die Stimme versagt oder was auch immer. Jeder Teil muss dann funktionieren, die Stimme, der Kopf, der Körper, sonst lässt man sich irgendwann gehen und versinkt vielleicht wirklich im allabendlichen Suff. Fünfzig Auftritte in einer Reihe sind die Hölle, für alle Beteiligten, da konnte man sich alles noch so schön reden, irgendwann kommt der Koller. Alle zwei Tage in einer anderen Stadt, man muss mitnehmen, was zu holen ist. Wer weiß denn schon, ob man im nächsten Jahr immer noch so gefragt ist. Und so lange wie die Toten Hosen stehen nur wenige im Rampenlicht und machen ihr Ding. Und Festivals sind noch anstrengender, weil dort immer nervende Rockstars ihre ach so bedeutende Männlichkeit heraushängen lassen müssen und so tun, als würden sie jede Frau, die sich nur in ihre Nähe traut, ins Bett kriegen. Sie ziehen dann unter allen Umständen ihre Baggernummer ab und ertränken später die Abfuhr mit Schnaps oder schnappen sich für die nächste Nacht ein williges Groupie. Nur weil man selber nicht den größten Namen hat, weil man als sinnlich gilt, ist eine zarte Sängerin in ihren Augen ein zu nutzendes Opfer. Opfer, was für ein Wort.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.