XVI 2

Die Luft beginnt über den Motorhauben zu flirren. Früher hatte sie das immer geliebt, wenn sie mit ihrem Vater auf einer Raststätte stand und die Dinge plötzlich in Auflösung begriffen schienen. Als Kind hatte sie von der Fata Morgana in irgendeiner Wüste gelesen, den Luftspiegelungen, die Bilder aus ganz anderen Teilen der Welt transportieren und plötzlich sieht man in der sandigen Ödnis ein Schiff fahren und die Gebäude von allen Orten der Welt. Das Schiff mit den vielen Räubern muss es wohl gewesen sein, denn auf den Segeln oder dem Rumpf stand eine rote 13. So genau wusste sie das nicht mehr. Aber das war wohl auch nur ein Kinderbuch gewesen. Sie musste plötzlich lachen, ja, das war doch diese Geschichte mit dem Lokomotivführer gewesen, nachträglich musste man wohl davon ausgehen, dass der Autor zur Zeit des Schreibens ganz individuelle Versuche mit LSD gemacht hatte, Scheinriesen tauchten da auf, seltsame Unterwasserwesen, Halbdrachen und was nicht noch alles.

 

Inzwischen hat auch der Letzte seinen Wagen ausgemacht. Die Motoren ruhen, werfen ihre Laute, die Abgase nicht mehr in die Atmosphäre, alles scheint immer stiller zu werden. Sogar die Hubschrauber, die auf der Autobahn sonst so lautlos wirken, weil die Karawane ihnen ein weißes Rauschen entgegensetzt, hört man träge in der Luft flappen. Die Zündschlüssel auf Aus gedreht, in Lauerstellung gebracht, denn irgendwann wird es einige Meter weiter gehen und dann muss man schnell sein, vielleicht einige Plätze gut machen, hier zählt jetzt jeder Meter, auch wenn jeder weiß, dass dies völliger Unsinn ist.

Die Stimmen der Wartenden, die murmelnden Laute der Fahrer dringen an ihre Ohren und in sie ein. Alles Äußere sucht sich einen Weg in ihr Bewusstsein und darüber hinaus. Jeder Laut versucht eine Bedeutung zu entspinnen und fordert eine glasklare Aufmerksamkeit. Plötzlich merkt sie die absolute Widersprüchlichkeit ihrer Wahrnehmung. Auch wenn alles ganz nah ist, wirkt es, als würde sie es durch einen unglaublich langen Tunnel wahrnehmen und trotzdem ist alles viel größer, als dies zu erwarten wäre. Die Stimmen wirken mehr und mehr verzerrt. Nein, jetzt wird sie nicht anfangen, die Realität zerfließen zu sehen, die Albernheit der Dali – Bilder ist ihr schon seit Jahren bewusst. Nicht alles verläuft und wenn doch, dann entstehen ganz andere Strukturen, als dieser Künstler es geahnt haben mag.

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