Was aber passiert, wenn zwei Menschen mit einander kommunizieren. Zwei Menschen gar, die aus verschiedenen Kulturen kommen, völlig verschiedene Individualsozialisationen haben. War es eigentlich überhaupt möglich, zu einem gemeinsamen Verstehen zu gelangen? Er gab die nächsten Wörter ins Netz frei, wusste, dass er einerseits vorsichtig sein musste, andererseits auch sehr spielerisch. Dabei musste er selber eine entwaffnende Ehrlichkeit an den Tag legen, sonst würde sie wohl genau jetzt abspringen. Dabei bedingten sich ihre Umfahrungen und Abtastungen. Wer weiß. Die Menschen lernt man schließlich am besten kennen, wenn man mit ihnen gemeinsam spielt. Wer schlecht mit der Niederlage im Spiel umgehen kann, der wird es im realen Leben auch nicht können. Wer das Spiel allerdings als solches begreift, dem wird es um den Verlauf gehen und darum, dass man aus dem Spiel lernt. Der wird vielleicht auch das Metaspiel, die Regeln verändern, nicht zum eigenen Gewinnstreben, sondern um das Vergnügen zu steigern. Einen viel höheren Gewinn erzielt der, welcher die Strukturen durchschaut. Gewinne lediglich nach dem monetären Nutzen zu definieren, ist die Aufgabe von Buchhaltern. Und von denen wusste er vor allem das Gerücht, dass diese oftmals äußerst langweilig waren, wenn es ans ehrliche Leben ging.
Wieder einmal huschten seine Finger im bekannten Zweifingersuchsystem über die Tastatur, wie immer nicht auf Groß- und Kleinschreibung achtend, das erschien ihm immer schon unnötig. In den siebziger Jahren hatte er mal einen Text über die Reform der deutschen Sprache gelesen, der war auch völlig in Kleinschrift verfasst. Obwohl zu dieser Zeit noch ein kleines Kind, war ihm dies haften geblieben. Nicht so sehr der Inhalt, aber die Erschütterung, dass die Schrift, die er gerade erlernt hatte nicht in Beton gegossen war, zumindest nicht so sehr, wie ihm die Lehrer dies vorgaukelten.
„und
das oder ist so ausschließend“
„Jetzt gerade sitze ich auf meinen Teppich in meiner Whg., höre Musik und neuerdings zeichne ich ein wenig.“
Ja, er konnte sich gut daran erinnern, dass sie schon einmal darüber gesprochen hatte, dass die Zeichnung sie interessieren würde. Dieses auf die Linie zurücksetzen und genau darin die Welt zu erkennen. Die Wahrheiten liegen vielleicht nämlich nicht den farbigen Flächen, die können manchmal ablenken von den Konturen und den inneren Strukturen, den Zusammenhängen, die nicht an Oberflächen gebunden sind. Die Zeichnung legt die Weltzusammenhänge offen. Dort wo Foto und Malerei oft überflüssige Atmosphäre schaffen, kann die Zeichnung brutal offenlegen. Ein Freund hatte ihm einmal erzählt, dass die von Hand gezogene Linie oft ehrlicher sein könne, als die Realität selber. Dieser war der Meinung gewesen, dass die Linie eine Welt nicht abbilde, sondern eine neue Welt erschaffe, immer knapp neben dem Sichtbaren, als abstrakte Weltinterpretation. Da könne es passieren, dass die Zeichnung durch die Zusammenfügung von Linien und Strukturen den höchsten Ausdruck menschlicher Reflexionsfähigkeit sei.
In einer Unterhaltung, die er vor kurzem mit einem sogenannt überregional bekannten Künstler geführt hatte, war ihm bewusst gemacht worden, dass die Zeichnung die klare Grundlage der Erkenntnis sein konnte, wenn man sie nur einerseits ernst genug nahm, um sie als Messinstrument wahrzunehmen und anderseits offen genug, um die Unzulänglichkeiten zu akzeptieren.
Aber zu viel wollte er ihr darüber nicht sagen, er galt bei Freunden und Bekannten sowieso schon als oberlehrerhaft. Ein eleganter Zausel, der schon seit Jahrzehnten einen auf siebziger Jahre Künstlerkarikatur machte, hatte ihn sogar bewusst diffamierend als schulmeisterlich bezeichnet. Dabei weiß doch wirklich auch der hinterletzte Dekorateur, dass Schulmeister weder studiert haben, noch je die Befähigung erlernten zu unterrichten, sondern quasi als Altersruhestand zum Lehrer ernannt wurden. Es soll übrigens auch selbst ernannte Künstler und Designer geben, die das nie studiert haben, fiel ihm dabei ein. Einige, die darin sogar gut sind, aber auch Leute, die so tun, als hätten sie Weisheit und Kreativität mit Löffeln gefressen, die allerdings der Welt offen sichtlich niemals jemals zur Reflexion üder das eigene Tun neigten. Evalution und offene Diskussion über Sinn und Inhalte sind diesen Menschen unbekannt. Das eigene Süppchen kochen, das reicht. Beim Gedanken daran huschte ihm immer ein Grinsen ins Gesicht. Geistige Armut kann man nicht bekämpfen, man muss sie ertragen. Ertragen lernen. Auch als so benannter Schulmeister.