Taktiken – ein abwegiger Exkurs

Die Taktiken sind umfassend und können so und vor allem nicht direkt als Stör- und Mogelstrategien erkannt werden. Man kann davon ausgehen, dachte er, als er seiner Schwester gewärtig wurde, dass all die 27 vor ihm sitzenden Individuen, all jene, die sich so inständig um ein Ringen mit dem Text bemüht hatten, doch irgendwann würden einen Abschluss zu erringen suchen. Sie waren seine Zukunftshoffnung und Angst in einem. In sich ruhende Charaktere einer musikalischen literalen Kulturgeschichte, der es um die Fragestellung nach dem wahren Bürgertum immer wieder gehen würde. Er blickte aus dem Fenster, sah die weite Landschaft vor sich, dachte an die guten Dinge, die wohl seine Schwester wieder einmal genossen haben musste. Ja, er ahnte jetzt schon, konnte es schon an den Kleinigkeiten erahnen, dass bald schon alles verkümmern musste. Dass eine lange Geschichte sich dem Ende neigte, die Gräser verdorren würden und der Geschmack der kuhwarmen Milch, des reinen Naturproduktes Honig schon bald vergessen sein sollte. Denn sie würde helfen müssen, der Mutter, dem inzwischen lebensfähigen Kinde, konnte nicht noch Wochen ihren Urlaub erweitern. Sie würde ihre sämtliche oder doch einen beträchtlichen Teil ihrer Kraft geben an die Umwelt.  – Er begann zu sinnieren, blätterte noch einmal einige Seiten zurück und musste lesen, dass dieser Teil dem Bruder gewidmet war, jenem, der später ein trauriges Ende nehmen würde.

 

Sich zurück lehnend schaute er in dieses dicke buch, dass ihn nun seit Wochen gefangen gehalten hatte, fand Zeile um Zeile richtig angeordnet, dieses Wechselspiel von Betrachtung und Gesellschaftsdeutung. Die Zeile nicht finden könnend direkt zu beginn, suchte er bis zum nächsten Abschnitt und wusste bereits dann, was er erblicken würde, vor dem inneren Auge, in seinen Gedanken in die Welt schlüpfend: Dass ein Wort Bilder zu erzeugen vermag, dass der Satz Welten schafft, nicht die Summe seiner Einzelteile darstellt, sondern einen neuen semantischen Zusammenhang erschließt konnte er durch seine Brille sehen, die er nun seit einiger Zeit tragen musste. Jeder Satz konnte das Innere des Menschen freilegen, jede Tat etwas über die Gedanken verraten. Der Kontext würde die Zeit übertölpeln. Als Macht des Wortes, als Macht eines Mannes wahrzunehmen, der den Anderen, der ganzen Familie seinen Willen aufdrücken konnte, nicht aber der Natur. Die Geschwister zählten eins und eins zusammen, legten ihre Lesezeichen auf die richtigen Zeilen und konnten ganz nebenbei fast unwissentlich das Wesen ihrer engsten Verwandten erkennen. Er wusste um die Bedeutung, um die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns.

 

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