Der Stau XII / II

Eine Liebe aber, die wie ein schweres Parfum in der Luft liegt, fast greifbar, eine solche Liebe ist etwas anderes, sie fordert den ganzen Menschen, will alles und gibt dieses auch. Eine Aura, der man sich nicht entziehen kann. Eine spielerische, fast schon kindlich verspielte Beziehung hatte sich entwickelt. Und gestern spät in der Nacht war kein sinnvoll erklärbares Halten mehr gewesen, alles schien fast zu natürlich, sie hatten sich zum Abschied noch in den Arm genommen und nur einige Augenblicke zu lange festgehalten, hatten sich gegenseitig eingeatmet und nicht wieder von einander lassen können. Ja, sie waren in ihrem Taumel im Bett gelandet. Letztlich, klassisch alle Kleidungsstücke in der gesamten Wohnung verteilend. So kitschig es auch klingen mag, aber die Kanäle des Glücks hatten ihre Schleusen geöffnet und dem Lebensstrom freie Fahrt gewährt. Ein Duft von Freiheit natürlich und doch innerer Zwang, es hatte kein Vorbei gegeben, diesem Tsunami kann sich niemand schwimmend entziehen. Und dieser ganz spezielle Hauch, der vielleicht nur im Bogen zwischen Hals und Schulter die Nase trifft und alle Sinne benebelt, diese Pheromon geschwängerte Luft, die nichts anderes mehr denken lässt. Schon vom Gedanken hieran kann man sich in Verzückung begeben. Das wird süchtig machen. Die Hände waren gewandert, wie in einem fest choreographierten Ritual, hatten die richtigen Punkte gefunden, die Schließen und Gürtel entriegelt und alles Weitere entzog sich der Ratio, die beide so sehr schätzen.

Er sog ihren Duft ein, ihren ganz speziellen Hauch, der nur von einer Person ausgehen kann, der zwischen Milliarden anderen doch so unverwechselbar erscheint. Blind könnte man durch die Stadt wandern, man würde den Anderen finden, anhand einer vagen Vermutung, die niemand sonst wahrnehmen kann. Die Synapsen, die Sensoren sind sensibilisiert und einige Moleküle dieses Duftes lassen unsere Blindheit vergessen, denn sie erzeugen Bilder, Projektionen unserer Begehrlichkeiten. Selig in diesem Frieden kroch seine Hand langsam über unsere Haut bis zum Becken und kam dort zur Ruhe, als wäre es immer so gewesen fühlte er eine Sicherheit, die nie erträumt gewesen wäre, viel weniger erhofft noch vor ein zwei Tagen.

Die Geschichte ist letztlich immer eine Anhäufung von unglaublichen Unwahrscheinlichkeiten und sie erscheint erst in der Nachbetrachtung als logisch und in sich stimmig. Da werden nebensächliche Taten zur Grundlage einer ganzen geschichtlichen Entwicklung, zumindest wenn man das Ganze mit dem Vergrößerungsglas der rückblickenden Geschichtsschreibung betrachtet. Und manchmal ist das, was geschehen scheint, nicht die Realität gewesen, sondern wird im Nachhinein als solche erzeugt, als Legende des Wissenden, der sich alles trotzdem nicht anders erklären kann. Wissen vorgebend ist das Unwissen Grundlage unserer Kultur. Nichts aber ist tatsächlich in die Zukunft gedacht, sondern wird in der Gegenwart und der Vergangenheit angelegt. Der Zufall entscheidet dann, ob die Handlung tatsächlich von Bedeutung war.

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