Der Stau XI / II

Während ihr Partner leise mit den Ringfingern kleine Taktmelodien auf dem Lenkrad trommelt, schaut sie aus dem Fenster und sieht doch offensichtlich nicht, was um sie herum vorgeht. Man kann noch nicht einmal sagen, ob sie den Stau bisher überhaupt bemerkt hat. Noch steckt sie in ihrer Geschichte, von der sie natürlich weiß, dass sie einfachen Strickmustern gehorcht. Jugendromane sind zumeist Massenware, die vor allem eines fordern, Identifikationsmöglichkeit. Hier sollen drei, vielleicht auch vier schwerwiegende Probleme einem Hauptthema zugeordnet werden. Meist geht es um die Sinnsuche, die sich hinter dem Erwachsenwerden verbirgt, Probleme mit Ausgrenzung, Freundschaft, Aussehen und Süchte aller Art, Partnerschaft und natürlich Liebe, jenes große Wort, das so recht niemand zu ergründen oder erklären weiß, der nicht mitten drin steckt. Ein bis fünf Jahre kann so ein Roman gelesen werden. Das Problem bei Jugendromanen ist, dass auch die verwendeten Marken und Produkte der Lebensrealität von Pubertierenden entsprechen müssen. Und ein Nokia ist nun mal nicht mehr der Stand der Technik des Jahres 2013. Da muss es schon etwas mehr sein. Leider haben die zukünftigen Leser sehr viel technischen Markenverstand. Nicht, dass sie auch Kenntnisse haben, aber sie können durchaus zwischen einem einfachen Handy und einem halbwegs brauchbaren Smartphone unterscheiden. Wenn in der urbanen Gesellschaft tatsächlich der Paradigmenwechsel des alten Stautssymbols Auto zum Phon wechselt, kann man davon ausgehen, dass dies auch in der Literatur berücksichtigt werden muss. Man mag noch so sehr über Jugendliteratur schmunzeln, in einem ist sie der sogenannten ernsthaften voraus, die Sensibilität für neue metagesellschaftliche Entwicklungen. Was hier eben angesprochen und als selbstverständlich erachtet wird, wird dort erst Jahre später diskutiert und problematisiert. Die Inhalte sind da grundlegend gleich, es verändert sich nur die Wortwahl und Tiefe. Wenn in der hohen Literatur die Technik überhaupt Einzug findet, die unser Handeln, unsere Kommunikation tatsächlich bestimmt und auch formal beeinflusst, so wird diese meist marginalisiert und jeder Leser sollte eigentlich erkenn, das man das als Blindheit gegenüber den gesellschaftlichen Realitäten auffassen könnte. Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass die großen Schriftsteller, die was zu sagen haben, dies selten einmal ins Jetzt verfrachten, sondern rückschauend arbeiten.

Ihr eingebildeter Film spielt im Kopfkino. Dort zeigt er seine kleinen Dramen und Schlachten. Tatsächlich ist es diese Fantasiewelt, die ihr die Motivation zu leben gibt. Der Traum steht ihr näher, als jemals zugegeben werden könnte. Ja, natürlich werden auch biografische Sequenzen Einzug in die Dichtung finden, man kann nicht alles erfinden, doch immer soweit abgeschwächt, dass niemand sie, die Autorin,  dahinter wird entdecken können. Aus dem konkret Erlebten wird durch Abstraktion auf der einen Seite, durch Ausschmückung auf der anderen ein gemeingültiger Erlebniskomplex.  Der nächste Roman wird eine Liebesgeschichte für junge Frauen sein, mit Problemzuspitzung in Richtung Äußeres und innere Werte , dafür hat sie sich extra ein Pseudonym gebastelt, das jung und frisch einerseits, ausgefallen anderseits wirkt. Ein Name dem man Erfahrung und Witz abnimmt. Für jedes Sujet ihrer Romane hat sie einen anderen Namen und manchmal muss sie sogar als Mann auftreten. Dann, wenn es um Jungenliteratur geht.

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