Der Stau X / 3

„2. Konstruierendes Argumentieren oder was die Philosophie damit macht

„Argumentation, eine Rede mit dem Ziel, die Zustimmung oder dem Widerspruch wirklicher oder fiktiver Gesprächspartner zu einer Aussage oder Norm […] durch den schrittweisen und lückenlosen Rückgang auf bereits anerkannte Aussagen bzw. Normen zu erreichen. Jede im Verlauf einer solchen Rede erreichte Zustimmung zu einer weiteren Aussage oder Norm (über Aussagesätze hinaus) kennzeichnet einen Schritt der Argumentation; die einzelnen Schritte heißen die für (bzw. gegen) die zur Diskussion gestellte Aussage bzw. norm vorgebrachten Argumente.“ (Enzyklopädie der Philosophie und Wissenschaft)

[Hier sieht man es wieder einmal, die Jungen können streiten, können sich bedienen, aber einen ordentlichen Zitatnachweis zu bringen, sind sie nicht in der Lage. Das überfordert sie schlicht weg. Man muss sich wundern, wird ihnen das in der Schule oder spätestens in der Einführungsphase hier an der Uni  denn nicht beigebracht? So schaufeln sie sich vor Beginn der eigentlichen Karriere das eigene Grab. Zuerst wird sinnentstellend verkürzt, dann auch noch die Quelle nicht vollständig angegeben, wie sollen sie demnächst ihre Dissertation schaffen?]

Das wohl bekannteste Beispiel für die philosophische Argumentation ist das Höhlengleichnis des Platon (Im Anhang beziehe ich mich auf etwas andere Art noch mal auf dieses Beispiel.). Indem Schritt für Schritt die Bedingungen erklärt werden und auf Glaukons ständige Zustimmung gerechnet wird. Hier wird herausgearbeitet, dass die Möglichkeit, die Menschen zur Erleuchtung zu führen, nur mit einer gewissen Gewalt durchgesetzt werden kann.

Auf dieser Argumentation, Schritt für Schritt, basiert die gesamte philosophische Argumentation. Sie kann nicht rekonstruierend arbeiten, sondern muss selbst konstruieren, so realisiert sich im philosophischen Akt die Bezogenheit des Menschen auf die Totalität des Seins. Philosophieren richtet sich auf die Welt als Ganzes. Dem Menschen wird eine Wirklichkeitsdeutung gegeben. [Diese Sätze sind schon fast druckreif, als hätte er bei einer meiner Vorlesungen mit notiert und nun gibt er das als eigene Formulierung aus, Frechheit. Aber letztlich kommt man ohne diese auch nicht weiter. Muss nachschauen, vielleicht kann ich daraus auch eine Floskel für einer der nächsten Vorlesungen entwickeln.]

Der Mensch soll durch die philosophische Argumentation zu einer eigenen Einsicht gelangen, die sich von den Erfahrungswerten seiner Vorfahren unterscheidet. Denn nur durch neue Erkenntnis verändert sich der Mensch. Philosophie beruht in diesem Sinne auf dem Mündigwerden der ratio gegen die Überlieferung. Die
Auflehnung gegenüber der Tradition gehört zum Wesen der Philosophie.“

Als Professor mit langjähriger Erfahrung kannte er solcherart Texte, die gefüllt waren mit Gemeinplätzen, Selbstverständlichkeiten. Auch solches Zeug musste man akzeptieren. Das Kapitel sollte folglich nur noch quergelesen werden, einfach um die grundsätzliche Stimmigkeit zu ersehen. Er würde keine Notate mehr machen müssen, es würde ihm letztlich reichen, wenn ein abschließender Kommentar noch einmal kurz auf die Mängel einging und ansonsten klarstellte, ob auch irgendwelche Besonderheiten zu sehen wären.

„[…] Platons Argumentation entwickelt sich aus dem Betrachten der Umwelt, der vor Augen liegenden Erfahrungswirklichkeit. […]dass die Verhältnisse der Höhle nur ein schwacher Abglanz der Wirklichkeit sind, um nicht zu sagen eine Verzerrung […] Der ins Licht verschleppte ist der Philosoph, der die Aufgabe zugeteilt bekommt, auch den Rest der Menschheit ins Licht der Erkenntnis zu führen. Eine Argumentation, die durchaus gewaltsame Züge aufweist. […] verlässt er den Raum der Unkenntnis […] Einer solchen Argumentationskette kann kaum jemand eine negative Entgegnung […] Da der Mensch bekanntlich nicht Gott ist, kann er nie zur absoluten Erkenntnis gelangen. […] Argumentation erschließt in diesem Sinne die Welt. […] Der Rhetor schließt aus seinen vorgebrachten Argumenten einen Syllogismus, eine Konklusion […] im Unterschied zur Eristik oder Sophistik, die letztlich nur darauf abzielen, den Redner als besonders gebildet darzustellen, nicht aber zwangsläufig zur Wahrheit zu führen. [… Ja, gestern noch erlebt, als dieser eine Ästhet seine Scheinargumente mit Scheinbeobachtungen vorbrachte, damit versuchte, seinen Willen durchzusetzen und die anderen dazu zu bewegen, das Geld doch mit sicheren Zinsen anzulegen, statt es für sinnvolle Anschaffungen zu verwenden, die viel nachhaltiger sind. Er hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass die anderen ihn schon lange durchschaut hatten, also ging er dazu über, die anderen zu beleidigen  oder als zu unerfahren zu verunglimpfen und als auch das nichts half, verzog er sich schmollend in seine Räumlichkeiten und war auch von hier nach wenigen Minuten verschwunden.] versuchen einen Konsens zu finden, immer in gegenseitiger Anerkennung der Partner.“

Er las auch die nächsten Seiten noch zügig und war endlich doch einmal für eine gewisse Zeit zufrieden. Das dritte Kapitel der Hausarbeit stellt sich als überaus begründet und sachlich distanziert verfasst heraus, was es dann auch schon wieder fast langweilig macht, darauf einzugehen, dachte er. Hier ging es um die Rekonstruktion, an sich schon ausreichend Stoff für eine Dissertation. Aber die jungen Leute wollen ja erst einmal einen Überblick verschaffen, selber erhalten.

Der Verkehr rollte weiter, wieder um einige Meter.

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