Diese Ansammlung von gescheiterten Existenzen. Warum muss ich dieser mediokren Mischpoke Zeit meines Lebens ausgesetzt sein? Der da vorne hat einen Pickel, den kann man sogar von hinten sehen am Hals. Kann mir denken, dass da ganz knapp unter der Haut eine dicke gelbe Eiterbeule sitzt und schmerzt und niemals würde er daran drücken, weil er weiß, dass dies noch mehr schmerzen würde, für einen Augenblick. So sind die Menschen, ertragen lieber ihre Schmerzen Zeit ihres Lebens, als dass sie dagegen vorgehen und richtig aufräumen damit. Sie sollten sich ihrer Situation bewusst werden. Sich selbst befragen und dann zu einem Schluss kommen. Lohnt es sich, etwas über längere Zeit zu ertragen oder ist es nicht besser, sich dem zu stellen und verändernd einzugreifen? Vielleicht hat er einmal schon gequetscht und war über die Wirkung erschrocken, nein, das wollten sie nicht, konnten sie nicht gebrauchen.
Der sieht aber auch aus wie die Streitsucht in Person, kann wahrscheinlich kaum mal eine Minute ohne Herumgenöhle auskommen. Ha, kein Wunder, bei der Frau, die neben ihm sitzt. Wo gibt es denn heute noch so etwas, kommt mir vor, wie eine billige Karikatur. Hat doch tatsächlich im Auto einen Kittel an. Haben wir Karneval? Habe ich zum letzten Mal vor Jahrzehnten gesehen, damals hatten die Hausfrauen tatsächlich noch ihre geblümten Kittel aus unempfindlichen Kunststoffen an, trugen darunter keine Blusen, sondern nur ihren hautfarbenen BH und natürlich das Mieder. Massive, schwere Panzer, die sie fast menschenfeindlich aussehen ließen. Schlimm war das, das Gegenteil von anziehend oder gar erotisch. Hausdrachen, die eines in den Vordergrund zu stellen suchten: Ich habe einen Beruf, der ebenso wichtig ist, wie allen anderen Berufe auch. Meine Oma hat so ein Teil bis kurz vor Ende getragen, nur an den Sonntagen hatte sie etwas anderes an, eine schicke Bluse dann, etwas über Knie langen Faltenrock, aus dunklem Stoff und eine umgebundene Schürze dann. Sonntags konnte man sie als Frau erkennen. Die Hausfrauen machten sich selber zu Neutren, unantastbar mit dem Stolz von Trümmerfrauen, die sie ja auch zum Teil noch gewesen waren. Glücklicherweise hat sich das bei den meisten inzwischen geändert. Wenn ich bedenke, wie gut einige um die fünfzig heute aussehen, dann hätte man das vor dreißig Jahren kaum glauben mögen.
Und dann diese albern aufgetürmte Frisur aus den dunklen Achtzigern, als sei sie in einem Punkt ihrer Entwicklung einfach stecken geblieben und habe für sich entschieden, von nun an niemals wieder irgendetwas zu verändern. Es mag ja wirklich manchmal ganz sinnvoll oder auch stylisch sein, wenn man sich der Stilelemente vergangener Jahre bedient, allerdings…auf Dauer? Muss ein schrecklicher Gestank sein dort. Eine Mischung aus selbst gedrehtem Billigtabak und eben solchem, viel zu stark aufgetragenen Parfum, um die Küchengerüche auf die Schnelle abzudecken. Vielleicht Kohlroulade ohne Dunstabzugshaube. Oder frittiertes Tiefkühlgemüse mit einem Wiener Schnitzel. Solche Geruchskonstrukte, wie man sie früher in den Diskos kannte. Wahrscheinlich hat dann auch noch das Deo seit einigen Tagen versagt. Wenn ich solches sehe, muss ich immer an die Beschreibungen denken, die Patrick Süskind in seinem großen Roman unternimmt. So plastisch habe ich selten vor Augen geführt bekommen, wie Menschen im eigentlichen riechen. Welchen Ausdünstungen wir gleichen, wenn wir nicht radikal dagegen vorgehen. Wie ein Stachel sitzt es immer noch in meinem Fleisch, als ein Klassenkamerad vor über dreißig Jahren zu mir sagte, dabei die Nase rümpfte, mein Deo habe wohl versagt. Die Pubertät hatte mich überfallen und ich wusste von diesem Moment an, dass ich mich verändern musste. Heute noch, wenn ich lange körperlich gearbeitet habe und danach Gerüche entstehen muss ich fast wie zwanghaft unter die Dusche, möglichst schnell, als könne man sich seine menschliche Natur herunter waschen. Andererseits gab es damals einige Lehrer, die offenriechlich auf die Selbstreinigungskräfte des Körpers vertrauten. Damals vor allen anderen einer, dessen Anwesenheit im Flur man noch Minuten später ausmachen konnte und eine, die eine Aura von Haarfett und Mundgeruch um sich verbreitete.