„Siehst du, der raucht auch, obwohl er so gebildet aussieht. Ob das sein Chauffeur ist? Kaum zu glauben eigentlich, steckt sich da hinten gemütlich eine Pfeife an, scheint sich gar nicht daran zu stören, dass er nicht voran kommt. Sieht schon etwas sehr seltsam aus, wenn man in einer so dicken Kiste mit Pfeife im Mund sitzt, eine dunkle Barbourjacke an hat und darunter ein Jacket und sogar eine Fliege. Ist bestimmt ein ziemlich anstrengender Typ, den ich niemals ausstehen könnte.“ „Warum musst du eigentlich immer alle Leute nach ihren Aussehen oder ihrer Kleidung sofort bewerten, obwohl du die Leute gar nicht kennst. Vielleicht ist der Hintere ja auch ganz nett.“ „Klar, du denkst auch immer nur an das Eine.“ „Kann man noch nicht einmal jemanden nett finden, ohne gleich mit ihm in die Kiste zu wollen?“ „Wenn ich mir deine lüsternen Blicke anschaue, muss man schon auf den Gedanken kommen, du scheint ihn ja geradezu aufzufressen.“ „Hey, der ist ne Nummer zu groß für mich, ist bestimmt ziemlich dominant und autoritär. Will Erfolg, überall, kann nicht zurück stehen.“ „ Was du so quatschst.“ „Nein, mal ehrlich, kommen dir solche Leute nicht auch etwas suspekt vor?“ „Außerdem raucht er, wenn auch nur Pfeife. Ich verachte ja nicht das Rauchen an sich. Aber den stinkende Rauch deiner selbstgedrehten Zigaretten. Dieser Pesthauch billigen Tabaks, den kann ich nicht mehr ertragen. Jeden Tag hockst du vor deinem Rechner, jeden Tag saugst du die Informationen dieser Stadt in dich auf und glaubst, du würdest alle kennen. Du hast dir eine Scheinwelt gebaut und glaubst an sie.“ „Ich kenne die Leute.“ „Du weißt, was du von ihnen gelesen hast, warum aber kennt dich dann niemand? Du erzählst Geschichten, die du niemals erlebt hast, von Ereignissen, die du nur per Zufall gelesen hast. All das, was du ganz real erscheinend von dir gabst, all das, was ich dir geglaubt hatte, ist nur Lüge, nicht mehr.“ „Ich habe dir auch Gutes getan.“ „Ja, um mich abhängig von deinem Können zu machen. Dir ging es um eine perfide Macht, hast alles daran gesetzt. Ja, jetzt ist Schluss damit. Das ist nun endlich unser letztes Gemeinsames heute. In einem Stau fest zu sitzen. Und ich habe das Gefühl, er ist wie ein Zeichen zu uns gekommen, denn fest gesessen haben wir die ganze Zeit. Geblendet von einer selbst erzeugten Lügenwelt, konnte ich nichts mehr außerhalb sehen.“ „Was du sagst, ist nicht die Wahrheit, was du sagst…“ „Hätte schon zwei Jahre früher ausgesprochen werden müssen. Du hintergehst die Menschen, mit denen du Kontakt hast – auf kurz oder lang. Und wenn du gehst, suchst du dir neue Opfer, die deinen plausiblen Geschichten Glauben schenken, wenn ich es mal ganz gewählt ausdrücken soll.“
Nach diesem Ausbruch ehrlich ausgesprochenen Unwillens herrscht für einige Minuten Schweigen im Auto. Es ist grausam, wenn man still zusammen gepfercht in einem Raum sitzt, aus dem es kein Entrinnen gibt. Sei es, weil der Raum verschlossen ist, sei es, weil es sich fernab jeglicher Möglichkeit befindet, sinnvoll zu Fuß zu entkommen. In solchen Situationen wird es wahrscheinlich irgendwann wieder zu Gesprächen kommen, vielleicht zu Wortgefechten. Und wer Recht hat, kann niemand sagen. Wenn Watzlawick in seinen Axiomen beschreibt, man könne Kommunikation nicht in logische Kausalketten auflösen, nicht wissen, wo der Anfang des Gesprächs läge, dann hat er wohl Recht. Die meisten Gespräche haben ihren Anfang in den virtuellen Streitereien genommen, die der einzelne Mensch für sich führt, in Träumen sicherlich einerseits, andererseits aber auch, wenn er Ruhe findet nachzudenken. Immer wenn der eine im Garten seine Arbeit macht und die Dinge in die Ordnung bringt, welche sich der Gärtner wünscht. Immer wenn er seine Geräte wartet, sie säubert, die Scharten heraus feilt, vielleicht den Rasenmäher schärft und Sense wetzt. Immer wenn der Boden umgegraben wird. Er spricht seine inneren Monologe, sich der Vergangenheit klar zu werden, der Gegenwart zu versichern und der Zukunft eine Bahn zu brechen. Dann werden die Argumente abgewogen und Gegenargumente gesucht. Und plötzlich treffen sie auf einen anderen Menschen, der sich ebenfalls seine eigene Sicht der Welt gebildet hat, der seine ganz individuellen Gedankenwege in seiner Lebenslandkarte eingegraben hat. Ein Künstler, der die Linien unter steten Entscheidungen in das Kupfer fräst, damit es zum Drucken verwendet werden kann. Und mit jedem Druck der Auflage werden sich die Linien ein winziges Stück weit verändern, vielleicht weil die Farbe falsch aufgebracht wurde oder der Druck der Walzen zu gering war, schlimmer noch zu hoch. So verändert sich mit jedem Gespräch das Wort ein wenig, fast ganz unbemerkt und verschiebt sowohl die Realität wie die Argumentation von dieser. Wer mag, wenn es ausgesprochen ist, noch herausfinden, wo es seinen Anfang nahm, vielleicht in einer genauen Beobachtung, die zur Wut wurde, vielleicht in einem freundschaftlichen Mitgefühl, das über die Jahre enttäuscht einsehen musste, genarrt worden zu sein.
