„Schon eine seltsame Sache, wenn sich Leute ihre Zeit damit vertreiben, Selbstgespräche zu führen.“ „Müsste schon lange in der Konferenz sitzen.“ Der vorne sitzende Fahrer ist gut gekleidet, nicht mehr wie früher, dass er eine Art Uniform tragen müsse, die ihn als Fahrer kennzeichnet, aber ganz standesgemäß trägt er einen dunklen Anzug. Sogar eine Krawatte. Er weiß, wann er reden kann und in welchen Situationen er stört.
Würde dem Chef niemals ein Gespräch aufdrängen. Dafür ist er zu professionell. Hat selbst sogar studiert, allerdings keinen Abschluss gemacht, die Möglichkeit, diese Stelle zu übernehmen erschien ihm wichtiger, als noch zwei Jahre in den Vorlesungen und der Bibliothek zu sitzen. Andererseits liest er in den Pausen unentwegt und könnte den Professoren wahrscheinlich Hausarbeiten und einen Abschlusstext dahin legen, dass ihnen die Ohren schlackern. Aber wofür wäre das schon gut. Er ist zufrieden mit diesem Job hier. Sich für einen Menschen, den man auch noch mag verantwortlich zu fühlen, fast Tag und Nacht, es sei denn er ist im Urlaub. Im Grunde fühlt er sich wie ein Vertrauter, der mehr weiß, als sogar die Buchhalter und Prokuristen, die man heute Controller nennt, klingt schicker. Wenn der Chef es will, kann er gute Gespräche führen, über Gott und die Welt, vor allem über philosophische Themen natürlich, Geisteswissenschaften. In letzter Zeit arbeitet er sich allerdings in die Wirtschaftswissenschaften ein, liest natürlich den Wirtschaftsteil der Frankfurter und ist natürlich auf dem neusten Stand im Feuilleton. Genau das war es, was ihm diese Stellung verschafft hat vor einigen Jahren. Diese Mischung aus Fachwissen und allgemeinem Interesse an allem Wichtigen. Tatsächlich hatte man ihn damals nach Politik und Kultur ausgefragt. Er konnte dabei bestimmte Zusammenhänge plausibel erläutern und das Grinsen im Gesicht seines zukünftigen Chefs war immer breiter geworden. Genau das hatte er gesucht. Keinen gelackten Kerl, sondern einen mit Ecken und Kanten, der seine eigene Meinung, sein Bild von der Welt hatte und dabei auch noch gebildet war. Eigentlich eine Luxussituation, wenn man solche Leute vom Wissenschaftsmarkt fernhält. Andererseits ein wichtiger Ausgleich für einen angespannten Manager, der auf den manchmal langen Fahrten nicht nur das Büro brauchte in seinem Wagen, sondern einen zuverlässigen Gesprächspartner, der einen auf andere Gedanken, manchmal auch Ideen brachte. Ja, sein Chef war wohl zufrieden mit ihm. Zumindest zeigten das die Prämien, welche er manchmal unter der Hand ganz klassisch in einem Umschlag in seinem Handschuhfach fand. Darüber wurde keine Wort verloren. Nicht ist deprimierender, als sich über solche Kleinigkeiten zu unterhalten. Die meisten Monate wusste er noch nicht einmal, was er mit seinem Lohn machen sollte, denn Kost und Logis waren natürlich frei. Also legte er das Geld einfach an, kaufte manchmal einen neuen Anzug. Im Kofferraum lag immer ein Ersatzanzug, damit in Notsituationen nichts peinlich würde. Einmal hatte er diesen sogar seinem Arbeitgeber geliehen, weil dieser sich mit einem undichten Milchshake im Pappbecher von oben bis unten versaut hatte. Und dass kurz vor einer Konferenz, in welcher die Übernahme eines kleinen Konkurrenten besprochen werden sollte. Über die letzten Jahre hatte sich so ein erkleckliches kleines Vermögen angesammelt, das ihm in anderen Zeiten sicherlich gut über die Durststrecken bringen würde. Sein Traum war es, in späteren Jahren ganz entspannt eine Eckgaststätte zu führen, die den ganzen Tag geöffnet sein sollte. In der man in Gemütlichkeit einen Kaffe nachmittags trank und abends ein Bier. Vor vielen Jahren, bevor man die Innenstadt seines Geburtsortes völlig unter der Abrisskugel planiert hatte und aus einer Gründerzeitidylle ein postmodern albernes Kleinstadtbild wurde, hatte es tatsächlich so ein Konzept gegeben. Und es hatte damals funktioniert.
